Der Vater meiner aller besten Freundin neben der ich 18 Jahre gewohnt habe ist heute plötzlich gestorben. Er war selbst für mich ein Ersatzdaddy. Ich weiss nicht wo mir der Kopf steht. Ach was frag ich mich das. Ich sehe sie morgen und weiss nicht was tun, was sagen, einfach nichts. Was bin ich für eine Freundin, wenn ich ihr nicht helfen kann? Andrea, 22
Meine liebe Andrea
Ihre Frage hat mich vor ein paar Tagen erreicht, aber ich war mit meinem Bub in den Bergen und ohne W-Lan und Blog unterwegs. Verzeihen Sie darum bitte, dass ich Ihre Frage nicht früher beantwortet habe.
Zuerst möchte ich Ihnen von Herzen mein Mitgefühl aussprechen. Sie haben einen überaus wichtigen Menschen verloren, das tut mir sehr leid. Die Begegnung mit Ihrer besten Freundin war vor drei Tagen, und ich hoffe, dass es Ihnen beiden gelungen ist, ob all der Trauer einen Weg zueinander zu finden. Sie hatten grosse Angst davor, weil Sie nicht wussten, was Sie sagen oder tun sollten. Aber wer weiss das schon? Der Tod eines nahe stehenden Menschen versetzt uns alle in einen Ausnahmezustand, über den wir nichts ahnen können, bis wir ihn erleben. Darum gibt es auch keine generell richtige oder falsche Reaktion darauf. Die meisten Menschen sind überfordert, wenn jemand aus dem Bekanntenkreis einen Angehörigen verliert. Sie wissen nicht, wie sie auf den trauernden Menschen zugehen sollen und lassen es dann oft aus Unsicherheit und Angst, etwas falsch zu machen, ganz einfach bleiben. Dabei brauchen die verlassenen Menschen die Gewissheit, mit ihrer Trauer und Verzweiflung nicht allein zu sein. Darum ist es das ehrlichste und menschlichste, wenn man auf die Person zugeht und diese Unsicherheit offen anspricht. Man kann nicht wissen, was der Trauernde gerade durchmacht und darum kann man auch nicht wissen, wie man am besten beistehen kann. Und das erwartet auch niemand von uns. Vermutlich weiss es die betroffene Person selber nicht genau, schliesslich verliert man einen Menschen immer zum ersten Mal.
Der Tod ist in unserer Kultur kein natürlicher Teil des Lebens, sondern noch immer ein Tabu. Darum haben wir keine Sprache dafür und suchen nach Worten, wenn es soweit ist. Suchen wir aber nicht zu lange! Das wichtigste ist nämlich, dass man für den hinterbliebenen Menschen da ist und sich nicht aus lauter Beklommen- und Sprachlosigkeit abwendet. Da sein und verstehen, dass die Lücke niemals wieder geschlossen werden kann. Der Vater, die Schwester oder das Kind, das man verliert, wird einem niemals ersetzt werden. Und darum muss es auch möglich sein, diesen Verlust zu bedauern, selbst dann, wenn die erste grosse Trauer überwunden ist. Es gibt nicht Schlimmeres, als wenn man gesagt bekommt, dass das Leben weitergehen muss und man darum gefälligst nicht mehr über den verstorbenen Menschen reden soll. Als würde der Schmerz vergehen, nur weil man ihn nicht mehr beim Namen nennt.
Für Sie ist es im Moment nicht ganz einfach, das verstehe ich gut. Sie haben Ihre eigene Wehmut über den Verlust Ihres "Ersatzvaters" und möchten gleichzeitig Ihrer Freundin Trost spenden und Ihr helfen, weil auch sie ihren Vater verloren hat. Das klingt im ersten Moment nach einer verzwickten Situation, aber das muss es eigentlich nicht sein. Sie beschreiben sich und Ihre Kameradin als allerbeste Freundinnen. Das setzt voraus, dass es keine Eifersucht um den "gemeinsamen" Vater gab. Darum sollte es auch jetzt möglich sein, dass Sie Ihrer eigenen Trauer Platz einräumen und trotzdem für Ihre Freundin da sind. Niemand kann deren Gefühle im Moment besser verstehen als Sie, die ihn auch sehr gerne hatten und nun auch ohne ihn leben müssen. Warum nicht gemeinsam um ihn weinen, gemeinsam über ihn reden und ihn dadurch in Erinnerung behalten. Und ich bin überzeugt, dass es Ihnen beiden gelingen wird, auch wieder gemeinsame Erinnerungen an ihn zu finden, die sie zwei zum Lachen bringen werden.
Mit einer lieben Umarmung, Ihre Kafi.