Du Kafi, Facebook macht mich fertig. Ich verbringe Stunden, achwas! Tage darauf! Ich lese daneben kein Buch mehr und mache mir keine eigenen Gedanken. Ich will weg davon. Wie geht das? Mirella, 32
Liebe Mirella
Ich will ehrlich sein mit Ihnen. Das wird nicht einfach. Ich denke sogar, es ist unmöglich.
Warum ich das sage? Weil ich in den letzten 10 Jahren keinen einzigen Menschen kennengelernt habe, der den Absprung von FB geschafft hat. In der gleichen Zeit haben Menschen mit dem Rauchen und Trinken aufgehört, haben ihre Tablettensucht überwunden oder sich von der Spielsucht befreit. Ja, sogar von harten Drogen wie Kokain oder Heroin. Aber kein Einziger hat Facebook endgültig den Rücken gekehrt. Kein Einziger.
Ich habe in all den Jahren vielen dabei zugesehen, wie sie es versucht haben. Sie haben sich entweder mit viel Pathos für immer verabschiedet und den Zurückbleibenden unter die Nase gerieben, dass es da draussen noch ein anderes Leben gibt und man zu bemitleiden ist, wenn man nicht auch geht und sich den wahren Dingen widmet. Oder sie haben mit viel Tamtam einen auf Digital Detox gemacht und mit grossen Worten erklärt, dass sie innerhalb von X Wochen sich von X Kontakten trennen und nur noch X Mails lesen, bla bla bla. All diesen selbst ernannten Aussteigern ist eins gemein: Sie sind alle noch bei Facebook und geben sich den Schuss noch immer stündlich.
Die einzige Chance ist, niemals damit anzufangen und dann auf die Süchtigen herabzuschauen. Aber ist man erst einmal dabei und hat mehr als 500 Freunde (darunter ist es so sterbenslangweilig, dass man gar keine Ahnung vom wirklichen Rausch hat), dann wird der Absprung praktisch unmöglich.
Warum dem so ist, wollen Sie wissen? Weil Facebook die cleverste und perfideste Drogen aller Zeiten ist. Keiner anderen sind 1.591 Milliarden Menschen (monatlich) verfallen und keine andere hat je so bewusst und vorsätzlich mit den menschlichen Mechanismen gespielt, wie Facebook. Dieses Netzwerk dringt in jeden psychischen Winkel des Menschen vor und macht sich jeden menschlichen Abgrund zu nutzen.
Wir alle wollen Teil von etwas Grösserem sein. Check.
Wir alle wollen wissen, was läuft. Check
Wir alle wollen, dass man uns wahrnimmt. Check.
Wir alle wollen etwas besser dastehen, als wir eigentlich sind. Check.
Wir alle wollen das Gefühl haben, wichtig zu sein. Check.
Und wir alle wollen das öffentlich zur Schau stellen. Check.
Wir sind alle Voyeure und wollen ins Leben von anderen spienzeln. Check
Das sind nur einige von ganz vielen Mechanismen, die bei jedem von uns unterbewusst ablaufen. Aber damit nicht genug. Facebook dringt in jeden Winkel unserer Psyche und unseres Hirns vor. Wir werden auf extremste Art und Weise gesteuert und können uns nicht dagegen wehren. Die Macher hinter dem Tool kennen sich aus mit Hirnforschung und überlassen keine einzige Funktion dem Zufall. Wenn man zum Beispiel die bildgebende Technik hinzuzieht, kann man deutlich sehen, dass beim Menschen das Belohnungszentrum im Hirn aktiviert wird, wenn er das rote Kreisli mit der weissen Zahl (Zähler für Benachrichtigungen) anschaut. In seinem Hirn tanzen dann die Neuronen, als hätte man gerade den Jackpot in Las Vegas geknackt. Es klingt vielleicht lächerlich, wenn man das liest, aber es ist wahr. Das Gehirn kann nicht unterscheiden, ob etwas wirklich grossartiges passiert ist, oder nur ein paar Nulpen ein Bild kommentiert haben. Der Cocktail an Hormonen, der ausgeschüttet wird, ist exakt der Gleiche. Und macht hochgradig süchtig.
Mich persönlich macht das alles sehr nachdenklich. Ich verdanke Facebook sehr viel, weil sonst in der Masse an Inhalt niemand meine Artikel lesen würde. Dennoch beobachte ich die Entwicklung mit grosser Skepsis. Ein Grossteil der Menschheit wird durch ein angeblich harmloses soziales Netzwerk stark beeinflusst, wenn nicht gesteuert. Man hat herausgefunden, dass FB eine wichtige Rolle in der Meinungsbildung hat. Ein paar wichtige Entscheidungen dieser Welt wären vermutlich anders gefällt worden, wenn FB nicht die Vorselektion der Informationen gesteuert hätte.
Ich denke aber gern noch etwas weiter. Was wird durch diese Macht sonst noch möglich? Wie weit würden wir gehen, um weiterhin dabei zu sein? Wenn FB sich morgen entschliessen würde, dass man monatlich 100 Franken Gebühr zahlen muss, um weiter dabei zu sein. Wer würde die 1200 im Jahr aufwerfen? Und was, wenn es 500 im Monat wären? Ich bin - sehr untypisch für mich - in dieser Sache sehr pessimistisch. Wir haben unsere Seelen dem Zucki verkauft und er hat uns voll in der Hand. Seine Intention ist das totale Wachstum, aber er hat, so denke ich, keine wirklich bösen Absichten mit uns. Aber was, wenn plötzlich doch? Er könnte von heute auf morgen dafür schauen, dass Trump Vergangenheit ist. Wenn das möglich ist, was ginge dann sonst noch? Was, wenn er noch andere Allmachtsfantasien entwickelt, welche die heutigen bei Weitem überflügeln und nicht nur Kohle einspielen sollen?
Mir ist klar, dass jetzt einige LeserInnen laut "Verschwörungstheorie" schreien werden. Aber selbst der lauteste Schreier ist (wenn er jemals eingestiegen ist) noch immer dabei und auch er würde ins Portemonnaie greifen, wenn es plötzlich kostenpflichtig würde. Auch ihm gelingt der Ausstieg aus dieser elenden Sekte nicht und auch er hechelt nach dem nächsten Schuss.
Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen kein rosigeres Bild zeichnen kann. Aber ich beschäftige mich zu eingehend damit, als dass ich mir meine Naivität und Blauäugigkeit hätte bewahren können.
Das Einzige, was nützt, ist ein gewisser Umgang zu lernen. Verbannen Sie die App auf Ihrem Smartphone vom Starbildschirm auf die letzte Seite zur unattraktiven Fitnessapp und stellen Sie ALLE Notifikationen konsequent ab. Des Weiteren können Sie den Bildschirm von farbig auf Schwarz/Weiss stellen, Studien haben gezeigt, dass das Belohnungszentrum dann nicht mehr gleichermassen stimuliert ist. Kommentieren Sie nichts mehr und beteiligen Sie sich nicht mehr an Diskussionen. Dadurch werden die Interaktionen mit der Zeit weniger und die Attraktivität des Netzwerks nimmt ab.
Wenn Sie das alles getan haben, gehören Sie zu den Siegern unserer Gesellschaft. Das Ziel ist nicht der unrealistische Ausstieg, sondern ein halbwegs vernünftiger Umgang. Wenn Ihnen dieser gelingt, haben Sie schon viel geschafft.
Alles Liebe! Ihre Kafi