Frau Freitag, sie beantworten in ihrem blog kritische fragen pragmatisch und ich habe genau so eine. ich habe einen wenige monate alten sohn. er war ein wunschkind und wir haben uns so auf ihn gefreut!!! jetzt ist er da und ich habe keinerlei positive gefühle, ich mach mir grosse vorwürfe und laufe den ganzen tag mit einem schlechten gewissen herum. bitte geben sie mir einen rat. danke! steffi, 42
Liebe Steffi
Ich gratuliere Ihnen von Herzen zu Ihrem Wunschkind und zum Mut, mir diese Frage zu stellen. Bereits an anderer Stelle in diesem Blog habe ich gesagt, wie schwierig es ist, ehrliche Mütter für solche Gespräche zu finden und darum fühlt man sich dann auch so furchtbar allein damit.
Jetzt haben Sie sich wahrscheinlich einige Jahre auf dieses Kindli gefreut und nun ist es da und sie warten auf die ganz grossen Gefühle. Das kann ich gut verstehen, ist doch ein Kind in erster Linie mal ein riesiger Schock und da kann es noch so geplant und erwünscht sein. Die erste Zeit mit einem Kind ist die reinste Überforderung und es gilt, diese zu überstehen. In dieser Zeit müssen Sie ganz vieles. Sie müssen Ihr Kind regelmässig füttern, wickeln und dafür schauen, dass es seinen Schlaf bekommt. Und Sie den ihren auch. Aber was Sie NICHT müssen, ist ihr Kind lieben. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber es ist so. Niemand kann von Ihnen erwarten, dass Sie diesem Bündel Mensch auf Kommando Gefühle entgegenbringen, das wäre ja noch schöner! Sie müssen so vieles in dieser Zeit und es gibt vieles, was Sie nicht dürfen. Sie dürfen Ihr Kind nicht irgendwo vergessen, dürfen den Kinderwagen nicht absichtlich im Tram stehen lassen, Sie dürfen es niemals schütteln und sollten es nicht an die Wand kleben. Das gilt auch für ihren Mann. Bis aufs Schütteln, weil das hat sich nach meiner Erfahrung bei Männern immer gut bewährt. Wenn Sie diese Regeln einhalten und sich selber gut schauen, dann wird sich die Liebe irgendwann anschleichen. Sie werden es gar nicht merken, aber eines Tages wird sie einfach da sein. Liebe lässt sich nicht zwingen und versteckt sich, wenn man sie herbeordert. Darum lassen Sie es besser bleiben und konzentrieren Sie sich auf Ihr eigenes Seelenwohl.
Ich hatte vor nicht allzu langer Zeit mal ein Kätzchen. Ich hatte es für meinen Sohn gekauft, in einer Zeit, als es viele Veränderungen in unserem Leben gab. Das Kätzchen lebte plötzlich mit und bei uns ich konnte ihm nicht viel abgewinnen. Es ärgerte mich, weil es mir den ganzen Tag nachlief und es weckte mich nachts immer, weil es spielen wollte. Ich hatte viel Aufwand mit ihm weil ein Kätzchen in einer Stadtwohnung eine mässig gute Idee ist. Aber mein Sohn liebte es heiss und innig. Das wollte ich auch, aber es passierte nicht. Doch das Kätzchen liebte mich. Vollkommen unbeeindruckt, was ich dafür empfand. Ich war der Mensch, der das Tierchen fütterte und dafür sorgte, dass das Katzenklo immer sauber war. Dafür liebte es mich. Und irgendwann, ich kann selber nicht sagen, wie es geschah, da freute ich mich, wenn ich nach Hause kam und es an der Tür auf mich wartete. Ich genoss es, wenn es mir auf den Beinen sass und schnurrte und ich vermisste es, wenn es nachts woanders schlief. Ich liebte es. Auf einmal und vollkommen unerwartet. Weil es immer da war und weil es mich liebte.
Und wenn der Vergleich mit einem Kätzchen vielleicht auch etwas hinkt, so ist er eben doch stimmig. Auch Ihr Kind liebt Sie, egal was Sie tun. Es ist abhängig von Ihnen und darum müssen Sie gut dafür sorgen. Lassen Sie sich Zeit. Setzen Sie sich nicht selber unter Druck, das tun die andern schon genug. Seien Sie lieb zu sich selber. Und schlucken Sie viel Omega 3, das hilft. Ich kann mich zwar nicht mehr erinnern, was genau es macht, aber es bringt das verstörte Hirn von Müttern wieder in Ordnung. Der Rest ergibt sich von selber, glauben Sie mir.
Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Liebe.
Ihre Kafi.