Grüezi Frau Freitag. In der zeit vor Weihnachten begegne ich immer vielen Bettler und bin dann meistens überfordert weil ich nicht weiss was tun. Auf der einen Seite tun Sie mir ja leid und auf der anderen kann ich ja auch nicht allen etwas geben. Und was wenn die dann nur Alk kaufen und sich damit kaputt saufen?Wie machen sie das? Stefan, 33
Tags
Lieber Stefan
Ja, Sie haben mit Ihrer Beobachtung schon Recht, in der Vorweihnachtszeit verdichtet sich die Menge an Menschen, die Geld von einem wollen. Und ja, der Umgang damit ist nicht so einfach. Das geht mir nicht anders.
Da sind auf der einen Seite all die Institutionen, die zwar das ganze Jahr über Geld sammeln für gute Zecke, aber in der Adventszeit den grössten Umsatz des Jahres machen, und auf der anderen Seite all die Menschen, die einem auf der Strasse begegnen und dort um Geld anhauen. Das geschieht zwar in Zürich das ganze Jahr über, aber wenn's kalt ist, nimmt es nochmals drastisch zu.
Ich bin gegenüber Junkies, die mich um einen Schnegg (Fünfliiber) anschnorren, relativ immun geworden, die letzten Jahre über. Dennoch kann ich auch dem Charme eines Gestrauchelten nicht immer widerstehen und wenn mich einer sympathisch angeht, gebe ich ihm was. Das geschieht hier allerdings eher selten; scheinen harte Drogen nicht gerade wachstumsfördernd auf den persönlichen Liebreiz zu wirken. Meistens erntet man eher ein "Figg di du dummi arroganti Schlampe", wenn man nicht ruckizucki sein Portemonnaie zückt.
Darum war ich auch eher zurückhaltend, als ich vor ein paar Wochen an der Bushaltestelle stand und dort ein junger Mann von Gruppe zu Gruppe ging. Ich löste gerade mein Ticket, als ich ihn hinter mir eine Frau nach Essen fragen hörte und das ging mir dann doch ans Herz. Die Frau reagierte abweisend und sagte ihm, von ihr werde er mit Sicherheit kein Geld bekommen. Da wiederholte er sich und sagte, er wolle auch gar kein Geld, aber vielleicht habe sie etwas Kleines zu essen für ihn. Sie hatte nicht und zog von dannen.
Ich nahm den jungen Mann mit zum nächsten New Point und kaufte ihm einen Döner. Das kostete mich genau 11 Franken. Getränk wollte er keines, er hatte eine Wasserflasche bei sich.
Mit 11 Franken hätte ich meinen Freund einladen können, mit dem ich Minuten davor noch im Café sass und der mich die letzten 10 Jahre unserer Freundschaft immer hatte zahlen lassen und der selber nie auf den abwegigen Gedanken gekommen war, mich einzuladen. (Der Konjunktiv darum, weil ich zum ersten mal in 10 Jahren nur meinen eigenen Tee bezahlt hatte und ihn mit seinem unbezahlten Kaffee stehen liess...) Ich hätte eine deutsche VOGUE kaufen können, und damit gefühlte 5 Kilo Hochglanzwerbeinserate mit mir herumschleppen, oder auf den Moment hin sparen, wo ich endlich das Rauchen gelernt haben würde und die Zigaretten den angepeilten Preis von 11 Stutz erreicht hätten.
In meinem Leben verändert sich nicht allzu viel mit 11 Franken. Und in Ihrem vermutlich auch nicht. Aber im Leben eines Menschen, der irgendwie durch alle Netze gefallen und auf dieser urbanen Insel gestrandet ist, kann es eine warme Mahlzeit bedeuten. Darum kann und will ich nie "nein" sagen, wenn mich jemand um Essen bittet.
So wie ich auch bereit war zu helfen, als mir vor kurzem ein Paar einen Zettel mit Medikamenten für das kranke Kind Zuhause unter die Nase gehalten hat. Fein säuberlich waren der Hustensirup und die Fieberzäpfchen aufgelistet und daneben der Preis. Sie Frau weinte jämmerlich und hustete selber wie ein Tier und der Mann erzählte mir vom 4jährigen Buben, der allein Daheim mit hohem Fieber auf die Medizin wartete. Mein mütterliches Herz stand sperrangelweit offen und ich zeigte auf die nächste Apotheke und war schon auf halbem Weg dorthin, als mir die Mutter, plötzlich überhaupt nicht mehr weinend und hustend sagte, sie wolle die Sachen selber kaufen, ich solle ihr das Geld geben.
Da drehte ich mich um und ging stattdessen das Abendessen einkaufen. Vor dem Coop stand ein alter Alki und spielte auf seiner Handorgel, ein 'hey hey Wickie!' für mich und mein rotes Haar. Beim Herauskommen drückte ich ihm eine Dose Bier in die Hand und wünschte ihm einen schönen Abend. Er strahlte glücklich.
Ob das der richtige Umgang mit Spendengeldern ist? Vermutlich nein. Aber ich hatte in meiner Einkaufstasche neben konventionell angebautem Gemüse eine gekühlte Flasche Prosecco für mich und meinen Liebsten dabei und darauf lag mein moralfreies Bewusstsein, dass ich mein Geld so verschenken kann, wie es mir passt. Und mir passt es nun mal besser, einem Alki mit einem Bier eine Freude zu machen, als mich von einem Paar mit einer himmeltraurigen Geschichte verarschen zu lassen.
Machen Sie mit Ihrem Geld, was Sie wollen. Aber horten sie es nicht. Auf der Bank stillt es höchstens die Gier, aber bei Weitem keinen Hunger.
Mit vorweihnachtlichem Gruss. Ihre Kafi.