Hallo Frau Freitag. Weil ich immer gerne Ihre Antworten zu den unterschiedlichsten Fragen lese, dachte ich mir, dass Sie vielleicht auch etwas Schönes (oder dann halt weniger Schönes) zu meinem "Problem" beisteuern könnten. Ich habe vor rund 3 Jahren eine Tochter von einem längeren Amerika-Aufenthalt mitgebracht, dies aber ohne den Vater. Wir waren nicht wirklich zusammen damals in Amerika, haben uns aber öfters gesehen und so hat es doch zu einem Kind "gereicht" (wir haben uns auch äusserst blöd benommen), von dem er aber von Anfang an gar nichts wissen wollte. Erst nachdem durch den Vaterschaftstest klar war, was ich schon immer wusste, hat er begonnen, die Situation zu akzeptieren. Letztes Jahr war seine Mutter ein paar Mal hier, und er wird uns nun auch besuchen - für kurze 4 Tage. Dass er mich jetzt nicht mehr ganz so fest mag, weil ich nicht in seinem Sinne entschieden habe, als ich mich gegen eine Abtreibung entschloss, damit muss ich leben… Vielleicht liegen meine Schuldgefühle auch darin begraben, dass ich ihm wie die Chance genommen habe, eine Vaterrolle auszuüben, weil wir so weit weg leben. Er bezahlt übrigens mehr Alimente als er müsste. Ich weiss also nicht, wie ich nun auf diese Situation reagieren soll. Was könnte ich im Vorfeld tun, dass er und unsere Tochter sich gut verstehen, (sie sprechen ja beide verschiedene Sprachen) und er und ich gut miteinander klarkommen,? Soll ich mit ihm jetzt schon einige Sachen bereden (bzw. mailen), weil sie einfach unausgesprochen geblieben sind, oder soll ich damit warten, bis er hier ist? Gibt es überhaupt noch was zu bereden? Ehrlich gesagt habe ich Riesenschiss, dass er seine Abneigung mir gegenüber zeigen wird, obwohl ich ihn doch immer noch sehr gerne habe. Was würden Sie mir raten? Vielen lieben Dank und beste Grüsse. Sibille, 30
Liebe Sibille
Ihre Bedenken kann ich gut verstehen, aber Sie bringen Sie keinen Schritt weiter. Das Kind ist nun mal da - unter welchen Umständen auch immer - und der dazugehörende Vater wird es demnächst besuchen - aus welcher Motivation heraus auch immer.
Wenn ich Ihnen etwas raten darf, dann folgendes: Versuchen Sie Ihre Gewissensbisse in den Griff zu bekommen. Sie haben sich für das Kind entschieden und Sie kümmern sich nun auch um dieses. Der Vater zahlt Alimente und nimmt nun die Reise auf sich, um seine Tochter zu besuchen. Das ist im Grunde alles sehr positiv. Wenn Sie sich nun in schlechtem Gewissen suhlen, dann steht die ganze Aktion in einem eher ungünstigen Licht und das muss meiner Meinung nach nicht sein. Sie brauchen sich nicht in der Defensive zu verkriechen, solange Sie nicht angegriffen werden. Und der Besuch des Kindsvaters kann man mit bestem Willen nicht als Angriff interpretieren, sondern vielmehr als versöhnliche Geste. Und wenn auf dieser Erde nur Wunschkinder herumlaufen würden, müsste ich mir nicht so grosse Sorgen um meinen ökologischen Fussabdruck machen und drei Gärtner bezahlen, die alle paar Tage für mich einen Baum im Regenwald pflanzen...
Lassen Sie also das Klären von Dingen, die vielleicht nur Sie umtreiben, bleiben. Versuchen Sie den Ball flach zu halten und darauf zu vertrauen, dass es zwischen Ihrer Tochter und deren Papa eine Verständigung geben wird, die unabhängig von der Sprache funktioniert. Kinder sind noch viel intuitiver, als wir abgestumpften Erwachsenen und ich bin überzeugt davon, dass die beiden einen Weg finden werden, sich auch ohne Worte besser kennenzulernen. Schaffen Sie darum einen wertschätzenden Rahmen, der diese Begegnung möglich macht und handeln Sie vorausschauend. Das Ziel soll schliesslich sein, dass der Kontakt bestehen bleibt.
Ob Sie den Mann zurückerobern können - und diesen Wunsch lese ich zwischen Ihren Zeilen stark heraus - kann ich nicht sagen. Aber ich würde möglichst ohne Erwartungen auf ihn zugehen. Die Beziehung zwischen ihm und Ihrer Tochter steht im Vordergrund, versuchen Sie darum möglichst, Ihre eigene Geschichte aussen vor zu halten, und seien Sie offen und zuversichtlich. Sie können das Gelingen der gemeinsamen Zeit massgeblich beeinflussen, indem Sie darauf achten, wie Sie sich jetzt im Vorfeld damit auseinandersetzen. Ihre Tochter spürt bestens was in Ihnen vorgeht und sie wird davon ebenfalls beeinflusst. Versuchen Sie darum, wo immer möglich, Ihr Denken in eine positive Richtung zu lenken, und Sie werden sehen, dass Ihre Einstellung zum Ganzen von Tag zu Tag ein Stück sorgloser sein wird.
Ich wünsche Ihnen von Herzen unbeschwerte Tage zu Dritt und schicke Ihnen Kraft und Zuversicht. Alles Liebe, Ihre Kafi.