Hallo Kafi. Ich habe da mal eine Frage, die in meinem Freundeskreis grad die Runde macht. Ein Kumpel von uns hat eine neue Freundin, die in unseren Augen nicht gerade hübsch ist. Er hingegen ist ein absoluter Eyecatcher und kommt bei den Frauen extrem gut an. Wir alle fragen uns drum, warum er gerade mit der zusammen ist? Sollen wir ihn mal drauf ansprechen? Er scheint irgendwie einen verliebt-vernebelten Blick zu haben. Wie sollen wir das ganze angehen? Danke für einen Tipp. Marc, 27
Lieber Marc
Sie haben ja Nerven, mich sowas zu fragen, echt. Wenn ich mich bei jeder Frau, die einen Mann an ihrer Seite hat, der weniger hermacht als sie selber, fragen würde was da los ist, ich müsste meine Praxis und meinen Blog auf- und mein Kind in fremde Obhut geben, so vollzeitbeschäftig wäre ich!
Und dennoch haben Sie nicht ganz unrecht, mit Ihrer Beobachtung. Ich habe diesen Sommer nämlich eine ähnliche gemacht, als ich im Park ein Pärchen musterte, dass aus einem sehr attraktiven Mann und einer bedeutend weniger gutaussehenden Frau bestand. Meine erster Gedanke war: "Was sieht er denn an DER?" Danach wurd's mir ganz anders ob mir selber. Ich habe mich echt geschämt wie ein Hund, dass ich zu so einem bescheuerten Gedanken überhaupt fähig bin. Ich ach so aufgeklärte und modern denkende Frau Anno Domini Nostri Iesu Christi 2013, Heimatland nonemol! Wenn ich einer Frau begegne, die einen ungepflegten Rüpel hinter sich her schleppt, dann denke ich automatisch, dass der ganz sicher super nett sein muss. Und intelligent. Und vermutlich auch noch eine Granate im Bett. Wenn aber ein Mann eine weniger hübsche Frau im Arm hält, dann frage ich mich, warum die beiden wohl zusammen gekommen sind. Das zeigt viel über meine eigene Denke als Frau. Und es zeigt wenig schmeichelhaftes.
Drum hat es mir dann auch länger keine Ruhe gelassen und ich musste viel darüber nachdenken und viel darüber reden und es wurde ein recht anstrenger Sommer für meinen Freundeskreis. Empirisch, wie ich nun mal bin, habe ich damit begonnen, die Paare in meinem näheren Umfeld nach einem von mir ausgedachten und unglaublich ausgeklügelten Verfahren nach der Übereinstimmung der Optik einzuordnen. Ich habe dafür den Equal-Quotienten (den EQQ, den ich noch heute patentieren lassen sollte) erfunden, der misst, ob das Paar annähernd gleich attraktiv ist, oder eben nicht. Ein hoher EQQ gibt an, dass dem so ist, während ein tiefer EQQ einen Gap zwischen den beiden ausweist. Und es war unglaublich: Es haben alle mit einem hohen EQQ abgeschnitten, waren sich demzufolge optisch irgendwie "ebenbürtig".
Fazit: Es gibt kein einziges Paar in meinem Dunstkreis, wo der eine Partner bedeutend attraktiver ist, als der andere. Doch damit hatte ich noch immer nicht genug. Ich musste den Test ausweiten auf Paare, die man nicht persönlich kennt, aber immer mal wieder sieht. Sei's im Park oder auf dem Titelblatt einer Gazette. Und auch dort war die Erkenntnis eine spannende. Wenn der EQQ tief war, so war meistens die Frau der attraktivere Part, aber niemals der Mann.
Schöne Frauen paaren sich gern mit Männern, die durch Geld, Macht oder Stellung Potenz beweisen und nivellieren auf diese Weise für sich den Quotienten der gemeinsamen Attraktivität. Die umgekehrte Form sieht man dagegen praktisch nie.
Mag sein, dass der Roger Köppel in dieser Sache nicht ganz unrecht hat, wenn er im Editorial der aktuellen Weltwoche behauptet (und nein, ich hab sie nicht gekauft, ich schwör. Ich hab sie in der Bibliothek gelesen, wie ich es immer tu), dass sich die Frau eher seitlich oder nach unten orientiert, während Männer immer nach oben streben. Auch ich bin immer wieder beeindruckt ob der Chuzpe, die Männer an den Tag legen, wenn es darum geht, eine Frau zu bezirzen, die eigentlich in einer "anderen Liga" spielt. Einen Kopf grösser? Kein Problem! Zwei Köpfe grösser und 25 Jahre jünger? Egal! Er Dachdecker und sie Mathematik-Professorin? So what! Nur Männer sind in der Lage, sich gänzlich unbeeindruckt ob solchen Fakten in die Sache zu stürzen. Frauen hinterfragen sich stattdessen uferlos und begehen, was die eigene Einschätzung angeht, lieber einen Downgrade, als an einem zu attraktiven Mann zu scheitern.
Natürlich kann man die Sache auch von einem anderen Standpunkt sehen und sie dahingehend interpretieren, dass Frauen einfach weniger auf Äusserlichkeiten fixiert sind und inneren Werten grösseres Gewicht beimessen, klar. Aber selbst dann bleibt die Frage, ob Frauen eher bereit sind, aus der Not eine Tugend zu machen und Attraktivität dort zu suchen und zu finden, wo man sie nicht augenfällig sieht. Nämlich in Charme, Humor, Talenten, Treue oder eben in Status, Vermögen und Macht. Und natürlich kann man einwenden, dass Schönheit immer im Auge des Betrachters liegt. Aber meine Erfahrung zeigt, dass weibliche Augen diesbezüglich meist nachsichtiger sind, als männliche. Als wären sie von Geburt an mit einem Hamilton-Filter ausgestattet, sehen sie auch noch dort weiche Konturen, wo ohne Vaseline auf der Optik wenig schmeichelhaftes auszumachen wäre. (Was leider überhaupt nicht der Fall ist, wenn es darum geht, SICH selber liebevoll zu betrachten, darum der eigene Hang zum Downgrade...)
Wie dem auch immer sei, lieber Marc. Die Frage hat sich für mich noch nicht annähernd geklärt. Sie umtreibt mich noch immer, wie Sie meiner nicht enden wollenden Antwort entnehmen können. Seien Sie darum bitte so freundlich und lassen Sie Ihrem ach so gutaussehenden Kumpel seine angeblich weniger attraktive Freundin. Und sei es nur darum, dass ich die Chance habe, meine Studie endlich mit einem Paar abzurunden, bei dem es andersrum ist. Danke!
Mit analytischem Grusse, Ihre Kafi.