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Hallo Kafi, wenn man Kinder hat, weiss man nie, was man in deren Erziehung richtig macht und was nicht. Man kann sich lesend Rat holen, sich an seinem Umfeld orientieren oder es einfach machen. Vermutlich kombiniert man die drei Wege laufend. Schlussendlich macht's aber jede/r anders. Und am Ende weiss niemand, was die Kinder, wenn sie mal keine mehr sind, einem vorwerfen werden - etwas wird's vermutlich schon sein. Was raten Sie? Wo ist man den eigenen Kindern ein Freund, wo ein Vorbild, wo die Autorität, die sich durchsetzt? Vielen Dank! Pia, 37

Liebe Pia

Ich habe mich sehr über Ihre Frage gefreut, ist sie doch hoch interessant und anspruchsvoll. Drum danke dafür!

Sie haben vollkommen Recht, wenn Sie schreiben, dass man oft ohne genauen Plan an die Sache heran geht, im Wissen darum, dass auch ein ausgeklügelter Plan in die falsche Richtung laufen kann. Ich persönlich finde es ja etwas vom Anspruchsvollsten überhaupt, die Kindererziehung. Aber im Gegensatz zu jedem anderen ambitiösen Job, braucht man hier keinerlei Vorbildung oder überhaupt Bildung, Kinder kann jeder Dubbel in die Welt stellen. Darum floriert der Ratgebermarkt auch so unglaublich. Jede zweite Mutter bildet sich ein, sie könne einen Erziehungsratgeber schreiben, weil sie es ach! so unglaublich gut macht, mit ihrem Kind. Gottseidank tut es dann doch nur jede 32. aber auch das ist schon eine Zumutung. So stapeln sich die Erziehungs- "Fachbücher" auf dem Erziehungsfachbüchertisch in der Buchhandlung und in der Bibliothek füllen sie Wände von Regalen.

Ich aber rate jeder Mutter, möglichst die Hände von dieser Sorte gut gemeinter sogenannter Fachliteratur zu lassen. Weil 95% davon zu 95% Schrott sind. Da werden schöne Strategien erklärt, wie man das Kind angeblich zum Schlafen/Essen/Brav sein/Schlau sein/Trocken sein bringen soll und immer fühlt man sich als unfähiges Arschloch, wenn's danach trotzdem nicht klappen will. Andere Bücher vermitteln einem das Gefühl, dass es vollkommen normal ist, wenn man ob dem ganzen Kinderkram kaum noch Lust auf Sex hat und man fühlt sich für ein paar Tage verstanden und mit seinem Problem nicht mehr ganz so allein auf der Welt. Bis man dann eines Tages ein Interview mit der Schriftstellerin liest in dem diese dann zum Besten gibt, dass es bei ihr selber selbstverständlich nie so war und sie praktisch noch im Gebärsaal wieder wild herumgevögelt hat. Wenn es Bücher gibt, welche wirklich fundiertes Wissen und eine schöne Art der Entdramatisierung vermitteln können, dann sind es diese von Remo Largo. Er ermahnt die Eltern immer wieder daran, sein Kind nicht mit anderen zu vergleichen und gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Eigentlich fast schon ein Armutszeugnis, dass Bücher, welche diese simplen Basics vermitteln seit Jahren Kassenschlager sind, aber irgendwie scheint die Hilflosigkeit in diesem Bereich besonders gross zu sein. Schlimmer als doofe Bücher sind nur noch doofe Foren, in denen sich Mütter gegenseitig klein machen, um selber besser da zu stehen. Ich kann mich diesbezüglich nur mehr wiederholen: Finger weg von alledem!

Ich warte noch immer auf das eine Buch, dass endlich zugibt, dass es in der Kindererziehung eigentlich nur um eines geht: Bestechung und Belohnung. Aber dazu hatte leider noch kein Experte oder Mutter/Vater oder Experte durch Mutterschaft/Vaterschaft den Mut. (Und überhaupt, warum gibt es praktisch keine Ratgeber von Vätern?)

Wenn ich mir überlege, wie viele Gedanken wir uns zur Erziehung machen und wie viele sich unsere Eltern gemacht haben, dann wird mir ganz schwindelig. Meine eigene Mutter hat mich, wenn wir Besuch hatten und ich meinen Mund nicht aufmachen wollte, weil ich mich so furchtbar für die abgestorbene und braun gefärbte Schaufel und die vorstehenden Zähne geschämt habe, vor versammelter Mannschaft vor einen Spiegel gestellt und mich aufgefordert, meinen dummen Grind (Schweizerdeutsch salopp für 'Kopf') anzuschauen. Dass Scham und Unsicherheit hinter meinem Verhalten stand, hat sie nicht durchschaut. Später wurde ich von ihr zum Rauchen animiert, weil es doch so gemütlich ist, zusammen ein Zigarettli zu rauchen. Wo wir uns heute in der Kindererziehung in übetriebenem Masse in Richtung Perfektion bewegen, beschäftigte man sich früher höchstens peripher mit solchen "Luxusthemen". Wenn mir auch vollkommen bewusst ist, dass die obigen Beispiele aus meiner Kindheit nicht wirklich die durchschnittliche Erziehungstechnik dieser Zeit wiedergibt. Und dennoch bin auch ich gross geworden und dennoch habe auch ich meinen Weg gefunden. (Wenn der zu meiner Mutter darob auch auf der Strecke geblieben ist, ich musste mich irgendwann für mich oder sie entscheiden.)

Vieles kann man falsch machen, wenn man Kinder gross zieht. Aber vermutlich werden es andere Punkte sein, die einem die Kinder später vorwerfen, als man selber gedacht hätte. Insofern lohnt es sich wenig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Dennoch habe ich mir über einige Punkte Gedanken gemacht und für mich Entscheidungen getroffen, denen ich treu bleiben will.

  1. Ich bin in erster Linie die Mutter meines Sohnes, nicht seine beste Freundin. Wenn ich es auch sehr geniesse, dass wir ein sehr freundschaftliches Verhältnis pflegen und ich auch darum bemüht bin, ihm auf Augenhöhe zu begegnen, so bin ich doch hauptsächlich seine Mutter und bestimme, wo es lang geht. Ich bin der Chef in unserer Beziehung und es gibt Dinge, über die ich nicht mit mir diskutieren lasse. Ich habe keinerlei Angst, mich bei meinem Kind unbeliebt zu machen und bin darum, wo es für mich wichtig und nötig ist, sehr deutlich und konsequent.
  2. Kindererziehung ist nicht immer fair und das ist auch ok so. Nur weil ich selber ein gewisses Suchtverhalten im Bezug auf meinen Smartphonegebrauch an den Tag lege, heisst das noch lange nicht, dass ich bei meinem Sohn diesbezüglich grosszügiger bin. Er muss mich fragen, wenn er an seinem IPhone rumfummeln will und wir haben einen klaren Zeitrahmen dafür definiert. Dieser muss von meinem Sohn auch dann eingehalten werden, wenn die Mutter diesbezüglich wenig Vorbildfunktion an den Tag legt. Ob das fair ist? Nein, natürlich nicht. Und das wirft mir mein Sohn auch des Öftern vor. Aber dennoch bleibe ich dabei, weil ich ihm keinen Gefallen tue, wenn ich ihm eine Wildcard in die Hand drücke, nur weil ich selber fehlbar bin. Das kostet selbstverständlich einiges an Konsequenz und Stärke, denn nachgeben wäre hier soviel einfacher und wird auch von vielen Eltern bevorzugt. Weil es bequemer ist, nicht mit dem Kind diskutieren zu müssen, sondern seine eigene Schwäche ins Feld zu führen. (Ich rauche ja selber auch, wie soll ich es da meinem Pubertierenden verbieten...) Ich aber bleibe dabei und bin bisweilen unfair. Weil auch das Teil meiner Aufgabe und Verantwortung als Mutter ist. Es gibt Dinge, die Erwachsene dürfen, Kinder aber nicht. Punkt. Oder gestehen Sie Ihrem Kind eine sexuelle Beziehung zu, weil sie selber auch eine haben?
  3. Kurzfristige Lösungen sind vielleicht bequem, bringen aber meistens nachhaltigen Ärger. Wenn sie als Mutter oder Vater einmal an der Migros Kasse schwach geworden sind und dem kindlichen Gequengel nachgegeben haben, ist es gelaufen. Sie haben jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Und zwar für immer. Ich habe mich, als mein Sohn noch klein war, zwei mal in Grund und Boden geschämt ob seinem Theater und dennoch nicht nachgegeben (obwohl ich nahe dran war, Sie kennen das bestimmt). Danach war das Thema gegessen. Und zwar bis heute. Was auch immer man als Vater oder Mutter androht, muss man auch durchziehen. Auch wenn man sich damit selber bestraft. Fünfzehn mal drohen "noch einmal, und wir gehen sofort nach Hause, anstatt weiter im Park zu spielen!" und dann bleiben, weil man selber nicht nach Hause will? Kann jeder so machen, der mag. Mir persönlich wäre es zu blöd und ich hätte ein Problem damit, wenn mich mein eigenes Kind nicht mehr ernst nehmen würde.
  4. Ich bin keine Club Med Kinderanimateurin. Ich spiele nicht gerne Lego. Das habe ich noch nie getan. Darum komme ich auch jetzt mit 38 Jahren nicht auf die Idee, es trotzdem zu tun. Wenn mein Sohn Lego spielen will, dann muss er es entweder alleine tun, oder sich im Haus ein Gschpändli suchen. Auch wenn ich über eine gewisse Zeit Vollzeitmutter war, hat das nie bedeutet, dass ich mein Kind nonstop bespiele und bespasse. Ich habe immer meine Sachen gemacht und mein Kind nebenher seine. Natürlich machen wir immer wieder gemeinsam Dinge wie zum Beispiel Kochen, Geschenke basteln oder gehen zusammen fotografieren. Aber mein Sohn musste von Anfang an lernen, dass ich nicht nur zu seiner Unterhaltung anwesend bin, und sich selber beschäftigen. Eltern, die ihren Kindern keine Langeweile zumuten, nehmen ihnen die wichtige Eigenschaft, sich mit sich selber auseinander setzen zu können. Es ist mit Sicherheit einfacher zu kochen, wenn man sein Kind derweilen vor den Fernseher setzt und ein gemeinsames Abendessen im Restaurant verläuft ruhiger, wenn man dem Kind das Smartphone in die Hand drückt. Aber kann es wirklich sein, dass eine ganze Generation von Menschen es nicht mehr lernt, eine Stunde ohne Entertainment und Ablenkung zu verbringen?
  5. Zusammen reden. Zuhören. Wenn ich mich auch nie als Unterhaltungsprogramm für mein Kind missverstanden habe, so nehme ich mir immer für Gespräche mit ihm Zeit. Ich höre ihm zu und versuche eine Atmosphäre zu schaffen, in der es mir alles anvertrauen kann. Gewisse Themen kommen nur in dieser 1:1 Situation zur Sprache, nicht wenn die ganze Familie mit am Tisch sitzt. Diesen Raum zu ermöglichen und gut hin zu hören ist mir wichtig. Wenn ich gegenüber meinem Kind einen Fehler begangen habe (und das kommt oft vor) dann stehe ich dazu und entschuldige mich dafür. Mein Sohn ist sich bewusst, dass seine Mutter weiss Gott! nicht perfekt ist und genau wie jeder andere auch Fehler macht. Fehler sind nicht schlimm, solange man zu ihnen steht.
  6. Hinter dem Kind stehen, verlässlich sein. Ich versuche meinem Kind vorzuleben, dass man Fehler machen darf, solange man zu ihnen steht und dass man manches wieder gut machen kann. Ebenso wichtig ist es mir, dass es weiss, dass ich immer hinter ihm stehen werde, wie gross der Scheiss auch sein mag, den es baut. Mein Kind ist mein Kind und wird es auch immer bleiben, egal was es tut. Das heisst nicht, dass ich es nicht zur Verantwortung ziehen werde und es nicht dafür gerade stehen muss, aber mein Kind soll wissen, dass es sich immer auf mich verlassen kann. Es soll nie aus Angst vor meiner Reaktion etwas für sich behalten müssen.
  7. Wegschauen und danach trösten. Oft möchte man dem Kind Enttäuschungen vorenthalten und es nicht in Wände laufen lassen. Aber leider hilft all unsere gesammelte Lebenserfahrung einem jungen Menschen keinen Meter weiter. Er muss sie alle selber sammeln. Das ist oft fürchterlich, aber unumgänglich. Manchmal ist es einfach nötig, dass ein Kind von der Schaukel fällt und beim Klauen erwischt wird, damit es lernt. Das ist für die Eltern, die Zuschauen müssen wirklich Scheisse, ich weiss. (Davon kann die Mutter von Lea ein Lied singen!) Darum lohnt es sich manchmal, bewusst weg zu schauen. Ich habe danach immer den starken Drang "Gsehsch jetz, ich han's doch gwüsst!" zu sagen und meistens komme ich dagegen nicht an. Trösten tu ich dann anschliessend aber trotzdem, weil ich es schliesslich auch gerne habe, wenn man mich tröstet, obwohl ich gegen eine allzu offensichtliche Wand gerannt bin.

 

Dies sind meine 7 Grundregeln, an die ich mich zu halten versuche und an die ich wirklich glaube. Kinder brauchen auch Regeln und Grenzen und es ist ein grosser Irrtum, fehlende Grenzen mit grenzenloser Liebe zu verwechseln. Ich setze meinem Kind Grenzen, weil ich es liebe. Und weil ich will, dass es sich später in der Gesellschaft zurecht finden kann. Ich tue meinem Sohn keinen Gefallen, wenn ich ihm vorgaukle, dass sich im Leben alles um ihn dreht. Weil es nun mal einfach nicht stimmt.

Mit ganz herzlichem Gruss. Ihre Kafi.

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