Hallo liebe Kafi! Ich hoffe, dass du einen deiner offenen und ehrlichen Ratschläge für mich auf Lager hast. Ich schiebe alles solange auf wie es nur irgendwie geht (Masterarbeit schreiben, Wäsche waschen, Ferien buchen etc.), und dann bekomme ich gegen Schluss immer einen Riesenstress. Und ärgere mich zusätzlich über mich selbst, da dieser Stress vermeidbar gewesen wäre. Meistens kriege ich es noch hin, aber ich bin durch dieses Aufschieben schon mehrmals böse auf die Nase gefallen. Trotzdem prokrastiniere ich beim nächsten Mal wieder fröhlich drauf los! Ich verstehe mich nicht - wieso stresse ich mich selbst so, obwohl es auch anders gehen würde? Ich habe schon viel versucht, falle aber immer wieder in das alte Muster zurück. Hast du einen Rat, wie ich das ändern kann? Herzlichen Dank! Liebe Grüsse, Maria, 27
Liebe Maria
Wenn ich Ihre Frage lese, habe ich das Gefühl, ich hätte sie selber geschrieben. Ich mache es nämlich genau so. Immer alles auf den letzten Drücker. Ich kann für eine Aufgabe wochenlang Zeit haben, in der Regel nehme ich sie erst in Angriff, wenn ich wirklich nicht mehr anders kann. Das gilt für praktisch alles. Ich kann einfach nicht auf Vorrat arbeiten. Wenn ich mir morgen aus Versehen die Hände abhacken würde, dann wäre dies hier die letzte Kolumne gewesen, die ich jemals geschrieben habe, weil ich auch nicht nur eine einzige auf Vorrat habe.
Das hat mich früher auch tödlich geärgert. Ich habe Menschen, welche ihre Pendenzen immer in bester Ordnung haben, weil sie ihre Aufträge in mundgerechten Stücken angehen, immer zutiefst bewundert. Mir selber liegt diese Herangehensweise aber einfach nicht. Es scheint, als bräuchte ich den Druck im Nacken, das Wasser, das mir schon fast am Halse steht.
Ich habe versucht, es anzugehen. Mit so einigen verfügbaren Mitteln. Geholfen hat eigentlich nur etwas. Die Vorstellung davon, wie befreit es sich anfühlt, wenn man etwas erledigt hat. Wenn Sie dieses Gefühl schon einmal erlebt haben in Ihrem Leben, dann kennen Sie das! Es ist wie eine Art Entschlackungskur, als würde man einen schweren Rucksack ausziehen und einfach stehen lassen. Grossartig!
Aktivieren Sie dieses Gefühl und es wird Ihnen etwas leichter fallen, etwas anzugehen, wofür noch etwas Zeit besteht. Und ich schreibe mir voller Absicht "etwas leichter", ewil ich selber weiss, dass es damit nicht getan ist. Die Art oder Unart, Dinge immer wieder aufzuschieben ist ein tief verankerter Charakterzug, wie Pünktlichkeit oder eben Unpünktlichkeit einer ist. Egal ob ich 10 Minuten oder 3 Stunden vor einem vereinbarten Termin aus dem Haus gehe, am Schluss muss ich eigentlich immer beinahe rennen, um pünktlich zu sein.
Sie können sich darüber ärgern und sich das Leben deswegen schwer machen. besser wird es dadurch in der Regel auch nicht. Darum empfehle ich Ihnen vor allem eines, nämlich Selbstakzeptanz. Sich annehmen, wie man ist und damit leben. Das ist die ganz grosse Kunst, die es zu erlernen gilt. Ich musste das auch erst tun. Heute weiss ich, dass ich nur mit diesem selbstgemachten Druck funktioniere, dann aber dafür eine Arbeit abliefere, die stimmig ist und "verhebt". Inzwischen sehe ich es sogar als Stärke und erkenne, dass ich zu Ergebnissen fähig bin, welche die mundgerechten Kollegen niemals unter diesen Rahmenbedingungen schaffen würden. Meine extrem hohen Erwartungen an mich selber bewahren mich davor, etwas abzuliefern, was "gejufelt" oder unsorgfältig ist. Ich bin da sehr streng mit mir selber und achte - gerade wegen meiner Arbeitstechnik - sehr darauf, dass das Ergebnis meinen eigenen hohen Ansprüchen gerecht wird.
Wenn Sie sich auf diesen Punkt konzentrieren und sich Techniken zulegen, welche diese Fähigkeiten unterstützen, anstatt dass Sie sich die ganze Zeit über Ihr angebliches Manko definieren, dann werden Sie mit der Zeit die Vorteile Ihrer Routine erkennen und anfangen, diese zu schätzen.
Mit schönem Gruss. Ihre Kafi.