FragFrauFreitag Logo

Liebe Frau Freitag. Ich bin immer peinlich berührt, wenn ich Paare sehe, die in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschen, die über das normale Händchenhalten hinausgehen. Ebenso mag ich es nicht, wenn mir meine Freundin zu sehr auf die Pelle rückt, wenn wir zusammen unterwegs sind. Habe ich ein Problem mit Nähe, wie mir meine Partnerin manchmal vorwirft, oder hat es vielleicht etwas mit Anstand zu tun? Was meinen Sie? Jonas, 39

Tags

Lieber Jonas

Wenn Ihre Freundin recht behielte, hätte auch ich ein hochgradiges Problem mit Nähe. Mir gehen diese »Show-Schätzeler«, wie ich sie gerne nenne, auch gehörig auf den Sack. Mir sind Paare, die ihr Nichtvoneinanderlassenkönnen dermaßen öffentlich zelebrieren müssen, per se suspekt und sie wecken in mir immer gleich den Wunsch, die beiden einmal unbeobachtet zu Hause, fernab von jeglichem Publikum, observieren zu können. Ich bin nämlich überzeugt davon, dass dieses Zurschaustellen gegenseitiger Anziehungskraft in der Öffentlichkeit in umgekehrter Proportionalität dazu steht, was wirklich zwischen zwei Menschen abgeht. Davon ausgeschlossen sind natürlich alle Frischverliebten, die sich erst weniger als zwölf Wochen kennen. Die sind absolut schuldunfähig, so wie alle anderen Debilen auch.

Wenn Sie also einem Paar begegnen, das aneinanderklebt wie Kaugummi am Asphalt, dürfen Sie getrost davon ausgehen, dass die beiden ihr Bett nur noch zum Schlafen nutzen. Und den Küchentisch zum Frühstücken. Das gilt übrigens auch für alle anderen Arten von übertrieben präsentierten Zuständen. Wenn Ihnen ein Single immer wieder ungefragt erzählt, wie unglaublich glücklich er allein und wie maßlos fidel sein Singleleben im Vergleich zu einer einengenden Paarbeziehung ist, wird mit ziemlicher Sicherheit das genaue Gegenteil der Fall sein. Und Mütter, deren Wunderkinder vom ersten Tag an durchschlafen und die währenddessen wilden Sex auf dem Esstisch haben, sind elende lügende Schlampen. Weil wirklich zufriedene Menschen es einfach nicht nötig haben, ihr Glück nonstop in die Welt hinauszuschreien. Sei es verbal oder in Form von Statusmeldungen auf irgendeiner sozialen Plattform. Nur leider haben die oben erwähnten Kompensationsspezialisten diese Strategie noch nicht durchschaut und gleiten darum mit ihrem Schauspiel gern in ein Genre ab, das man als »acting desperate« bezeichnen kann.

Ob ein ausgetauschter Kuss oder anderes Getändel in Gesellschaft die Regeln des Anstands bricht, ist jedoch Ansichtssache. In Japan sieht man kaum ein Paar, das sich berührt; Küssen in der Öffentlichkeit gilt dort als absolutes No-Go. Dass es dann aber richtig zur Sache geht, wenn man alleine ist, kann man lokal produzierten (also japanischen) Pornos entnehmen, welche ja immer auch Tendenzen einer Gesellschaft abbilden. Außerdem gibt es in Japan einen großen Markt für gezeichnete Kinderpornografie, die mir nichts, dir nichts in der U-Bahn gelesen wird. Somit hat Anstand auch immer etwas mit Moral beziehungsweise Doppelmoral zu tun. Bleiben Sie Ihrer Einstellung deshalb ruhig treu. Sie zeigt, dass zwischen Ihnen und Ihrer Freundin eine Beziehung besteht, die nicht ums Verrecken öffentlich überhöht werden muss.

Mit herzlichem Gruß. Ihre Kafi

© 2023, Kafi Freitag – Built with Gatsby