Liebe Frau Freitag, ich bin 18 Jahre alt und würde mir gern einen Rat von Ihnen als Lehrerin einholen. Und zwar ist folgendes der Fall: Ich habe 2011 meinen Schulabschluss gemacht. Ich bin in der 9. Klasse psychisch erkrankt. Meine beiden Lehrer haben gemerkt das etwas nicht stimmt und haben sich mit mir sehr viel beschäftigt. Sie haben mich 2 Jahre DURCHGEZOGEN (9 und 10 Klasse). Beide haben mir gesagt das wenn etwas sein sollte ich zu ihnen kommen soll. Nun traue ich mich aber überhaupt nicht da ich das Gefühl habe die beiden nun zwei Jahre "gequält" zu haben. Ich würde mir aber gern einen Rat holen. Wäre das ok? Vielleicht wollen sie das auch nicht und haben das nur aus Höfflichkeit gesagt? Ich bin mir sehr unsicher! Zwar haben sie auch oft ihre Pause aufgeopfert aber trotzdem... Ich Hoffe sie können mir dazu aus Lehrersicht etwas sagen. Ich bedanke mich im voraus! Nina, 18
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Meine liebe Nina
Ich war ja im ersten Moment etwas erschrocken, dass Sie mich als Lehrerin bezeichnen, weil wenn ich hier auch jeden Tag eine Frage beantworte, so möchte ich doch niemals schulmeisterlich wirken. ICH EINE LEHRERIN?????!!!!!????? Aber dann habe ich mich erholt und scharf nachgedacht und kombiniert und bin zum Schluss gekommen, dass Sie mich wohl mit dieser Frau Freitag verwechseln müssen. Die ist tatsächlich Lehrerin und schreibt neben ihrem Blog auch Bücher, wenn ich richtig informiert bin.
Aber wie dem auch sei, Ihre Frage interessiert mich und wenn ich auch so einiges bin, aber mit Sicherheit keine Lehrerin, so will ich doch trotzdem darauf antworten. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.
Also. Erstens würde ich mir an Ihrer Stelle nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie das Angebot Ihrer Lehrer gemeint ist. Sie haben es ausgesprochen und werden vermutlich auch dahinter stehen, wenn's auch länger her ist. Am einfachsten wird es sein, wenn Sie mit den beiden mal offen reden und genau diese Frage direkt stellen. Die beiden scheinen gute Pädagogen zu sein, sonst hätten sie Sie nicht angesprochen und unterstützt, die letzten beiden Jahren. Dass eine psychische Erkrankung länger dauern kann, ist leider wahr und das werden Ihre Lehrer auch wissen und verstehen.
Mir scheint aber sehr wichtig, dass Sie sich in professionelle Hände begeben. Ich kenne den Hintergrund Ihres Leidens ja nicht, aber wenn Sie einen guten Psychologen haben, dann wird der Ihnen bestimmt weiter helfen können und Sie brauchen kein schlechtes Gewissen mehr haben, Ihre Lehrer übermässig zu fordern.
Bitte lassen Sie sich in dieser schwierigen Zeit unterstützen. Es fällt Ihnen kein Zacken aus der Krone, wenn Sie sich für eine Weile lang in eine Therapie begeben. Leider sind die Themen "Depression" und andere psychische Erkrankung noch immer stigmatisiert. Darum werden komische Worthülsen wie "Burn-Out" kreiert, die dem ganzen den Touch von 'überarbeitet und extrem engagiert' verleihen sollen, was ich Anfangs ja ehrlich bescheuert fand. In der Zwischenzeit habe ich eingesehen, dass es durchaus sinnvoll ist, wenn man der Depression einen Namen verpasst, den auch ein erfolgreicher Banker in den Mund nehmen darf, ohne daran zu ersticken.
Auch ich war mit Anfang zwanzig über mehrere Monate depressiv und habe erlebt, was diese Krankheit mit einem machen kann. Aus der forschen und lebensfrohen Kafi wurde eine Person, die sich nicht mehr selber aus dem Haus traute und kaum mehr schlief. Glücklicherweise hatte ich einen sehr sympathischen und kompetenten Hausarzt, der meinen Zustand richtig deutete und mir dabei half, über meinen Schatten zu springen und die richtigen Psychopharmakas zu schlucken. Es dauerte eine ganze Weile, aber ich kam wieder auf die Beine. Von meiner Familie erhielt ich während dieser Zeit kaum sinnvolle Unterstützung, die Überforderung war zu gross und man behalf sich mit dem Motto "man hat in diesem Alter noch keine Depression". Da aber Cellulite und psychische Erkrankungen völlig unbeeindruckt vom Alter über einen hereinbrechen können, kann man nur eines tun, nämlich sich richtig behandeln und helfen lassen.
Bitte versprechen Sie mir, dass Sie mit Ihrem Problem zu einem Fachmann gehen. Dafür ist er da. Und natürlich meine ich auch PsychologINNEN und Fachfrauen, aber ich mag nicht immer politisch korrekt sein und umständliche Formulieren gebrauchen.
Alles Liebe und viel Kraft. Ihre Kafi.