Liebe Frau Freitag. Ich bin 23 Jahre alt und studiere Jus. Ich komme aus einfacheren Verhältnissen, während meine ganzen Studi-Kollegen alle rich kids sind. Die meisten jobben auch nebenher, aber mehr zum Zeitvertreib. Ich muss arbeiten, damit ich das Studium finanzieren kann. Nun hat die eine aus meiner Clique eine Brust-OP zu Weihnachten bekommen und die andere hat sich für den Malediven-Urlaub im Frühling Fett absaugen lassen. Ich habe natürlich auch meine Problemzonen und mache deswegen total viel Sport. Aber ich finde es je länger je mehr ungerecht, dass die einen einfach nachhelfen lassen können, während die anderen damit leben müssen, wie sie sind. Was meinen Sie dazu? Larissa, 24
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Liebe Larissa
Ich sage Ihnen jetzt etwas, das ich gerne in Ihrem Alter gewusst hätte: Sie werden mit ziemlicher Sicherheit nie wieder so gut aussehen, wie Sie es genau jetzt tun!
Natürlich ist es ungerecht, wenn die Jennifer vom Papi neue Titten geschenkt bekommt und die Vanessa sich für die Ferien chirurgisch pimpen lassen kann, während Sie auf dem Laufband schwitzen. Aber eines lässt sich mit allem Geld dieser Welt nicht kaufen. Selbstwertgefühl.
Wenn ich junge Damen in Ihrem Alter beobachte, dann werde ich oft etwas wehmütig. Zu sehen, wie unzufrieden eine ganze Generation junger Frauen mit ihrem Gewicht und ihrem Aussehen ist, macht traurig. Und dabei war ich kein bisschen anders! Die erste Cellulite-Creme für stolze 80 Stutz habe ich mit süssen 16 von meinem Lehrlingslohn gekauft. Wenn ich mir heute Fotos aus dieser Zeit anschaue, dann erscheint mir das ganze mehr als pervers. Ich hätte das Geld lieber gespart und mir anstatt der Dauerwelle einen richtigen Haarschnitt verpassen lassen, aber das ist wieder ein anderes Thema.
Wenn man jung ist, rennt man einem Idealbild hinterher und erkennt darob überhaupt nicht, dass man eigentlich dem eigenen Ideal entspricht. Nie mehr wird man jünger, schlanker, straffer sein. Aber zu schätzen weiss man es nicht. Man mäkelt an sich rum und stolpert von Diät zu Diät. Es mag ja sein, dass es ungerecht ist, dass man sich mit Geld angebliche Schönheit kaufen kann. Viel ungerechter aber scheint mir, dass man als junger Mensch blind für die eigene natürliche Schönheit ist. Erst viele Jahre später und aus sicherer Distanz sieht man sich selber realistisch.
Viel Zeit muss ins Land gehen, dass Frauen einen liebevollen Blick auf sich selber gewinnen. Bei mir hat es fucking 32 Jahre gedauert. Davor habe ich mich von der Waage kontrollieren lassen. Ein Tag mit 59,8 Kilo war ein guter Tag. Einer mit 60.1 ein schlechter. Dazwischen lagen 300 Gramm, die ich mir aus der Nase hätte popeln können.
Heute wiege ich um einiges mehr und habe die Waage entsorgt. Es kann doch nicht sein, dass ich einen Zeiger über mein Leben bestimmen lasse! Meine Jeans ist Gradmesser genug. Genauer muss ich es längst nicht mehr wissen. Ich habe mich mit meinem Körper und all seinen Makeln angefreundet. Jahrelang habe ich ihn nicht zu schätzen gewusst, aber er ist mir immer treu geblieben. Heute wohne ich gerne in mir und ich fühle mich wohl und sicher in meiner Haut. Wenn ich wählen dürfte, dann möchte ich nicht noch einmal Mitte 20 sein. Der Stress um sein Äusseres und das Äussere an sich stehen in dieser Lebensphase in keinem Verhältnis zueinander.
Es mag ja abgedroschen klingen, aber es ist dennoch unleugbar: Wahre Schönheit kommt von innen und will gefüttert werden. Und zwar in jedem Sinne. Wer sich der Lust des Essens nicht hingeben kann, wird auch keine Freude am Sex haben. Oral ist nun mal oral. Und Sinnlichkeit hat verdammt viel mit essen und geniessen zu tun. Anders lassen sich die abgehungerten Weiber, die zwar Size Zero tragen und trotzdem kein bisschen anziehend sind, nicht erklären.
Darum kann ich Ihnen nur zu folgendem raten. Seien Sie weiser als ich und freunden Sie sich schon heute mit sich selber an. Auch Silikon wird früher oder später hängen und Fett wächst bekanntlich nach. Aber ein liebevoller Umgang mit sich selber hat kein Ablaufdatum und macht Sie frei von jeglicher Schönheitsindustrie.
Schöne! Grüsse! Ihre Kafi