Liebe Frau Freitag. Ich habe eine Frage, die ich mit niemandem besprechen kann weil intim, darum wende ich mich lieber an Sie. Ich habe seit 3 Jahren keine Freundin und praktisch keinen Sex. Ich bin kein Aufreissertyp und bin trotzdem zu jung, um keinen Sex zu haben. Wäre es eine Lösung, wenn ich zu Nutten ginge? Oder ist das moralisch vollkommen daneben? Thomas, 31
Lieber Thomas
Ihre Frage habe ich vor geraumer Zeit erhalten, aber bei uns in Zürich war gerade eine Abstimmung in Sachen "Nutten an den Stadtrand" und darum war ich des Themas etwas müde. Da ich aber am Samstag Chester Browns Buch "Ich bezahle für Sex" (eine Graphic Novel - auch als Comic bekannt) gekauft und bereits gelesen habe, bin ich nun für eine Antwort gewappnet.
Wie Sie vielleicht wissen, wohne ich mitten im Zürcher Kreis 4, umgeben von vielen Salons und leichtbekleideten Damen, die nicht nur des Sonnenbades wegen tief Dekolletiert herumstolzieren. Dementsprechend huschen auch immer wieder Herren jeglichen Alters mit gesenktem Blick durchs Quartier und ich muss zugeben, dass ich das Treiben mit gewissem Interesse beobachte. Die Damen sind allesamt keine Schönheiten und die Herren wirken wie Banker, die seit Jahren keine Boni mehr bekommen haben. Aber das Geschäft scheint zu laufen, jedenfalls sind die Ladys seit geraumer Zeit immer die gleichen, die Fluktuation scheint bei H&M grösser.
Diesem Trend steht die Tatsache gegenüber, dass ich in meinen ganzen Leben ausschliesslich zwei Männern begegnet bin, die offen zugaben, Prostituierte zu besuchen oder zumindest schon besucht zu haben. Der eine liess seine Jungfräulichkeit bei einer liegen, der andere immerhin sein halbes Vermögen. Dass der Berufszweig nicht so gut laufen würde, wenn nur diese beiden ihn unterstützen würden, ist wohl uns beiden klar.
Ob es eine Lösung ist, Ihre Durststrecke mit Nutten zu überbrücken? Warum nicht? Schliesslich betrügen Sie keine Freundin und haben Zuhause keine drei Kinder, die Sie im Glauben lassen, Papi müsste abends immer so lang arbeiten. Und ob es moralisch vollkommen daneben ist, kommt wohl auf den konkreten Fall an. Wenn die Frau es unfreiwillig tut, weil sie dazu gezwungen wird, dann auf jeden Fall. Aber ich bin überzeugt, dass es sehr wohl viele Frauen gibt, die sich bewusst für diesen Job entschieden haben, aus welchem Grunde auch immer. Und wenn dem so ist, habe ich persönlich keine moralischen Bedenken. Es ist ein Beruf (und nein - nicht wie jeder andere, aber trotzdem) und es findet ein Austausch von Dienstleistung gegen Geld statt. Wenn die Dienstleisterin ihren Sold behalten kann und nicht von einem Zuhälter ausgenutzt wird, kann es durchaus ein faires Geschäft sein, an dem ich nichts Anrüchiges erkennen kann.
Wenn Sie wissen wollen, woran Sie erkennen können, ob die Dame auf eigene Rechnung arbeitet oder eventuell sogar eine unter falschen Versprechungen eingeschleuste Sexsklavin ist, dann kaufen Sie sich oben genanntes Buch. Der Autor zeichnet darin seine Erfahrungen als Freier in Kanada während der Jahre 1999 bis 2010 auf und es scheint, als hätte er sich in dieser Zeit sehr reflektiert mit dieser Thematik und der Ethik des Geschäfts auseinander gesetzt. Mit einigen der Nutten hat er Gespräche geführt, die glaubhaft und authentisch klingen und die einen kleinen Einblick in deren Berufsalltag erlauben.
Solange Sie sich und die Sex-Workerin schützen (Kondome!!!) und niemanden hintergehen, brauchen Sie meiner Meinung nach keine Gewissensbisse zu haben. Wir Frauen ticken diesbezüglich anders weil wir 1. begehrt werden wollen, und es 2. bedeutend einfacher haben als Männer, in kurzer Zeit einen Typen für unkomplizierten Sex aufzugabeln. Das mag unfair sein, ist es aber nicht. Weil wenigstens ist bei gekauftem Sex vollkommen klar, dass es kein Nachspiel geben wird und dementsprechend werden auch keine Gefühle verletzt. Insofern erscheint mir diese Variante sogar moralisch vertretbarer, als wenn Sie einer Bekanntschaft die grosse Liebe versprechen, nur um sie dann flach zu legen.
Meinen Segen haben Sie und die bösen Zuschriften der erbosten Leserinnen werde ich auch verkraften.
Mit liebem Gruss, Ihre Kafi.