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Liebe Frau Freitag, ich kenne Führungspersonen, die sich wie Patriarchen aufspielen, aber auch solche, die Angst vor ihrem Chefsein haben und sich hinter sieben Türen verkriechen (auf das zusätzliche Geld und/oder das Machtgefühl aber doch nicht verzichten wollen und deshalb die Funktion trotzdem übernehmen). Beides kann wohl nicht sein, oder? Was macht aus Ihrer Sicht eine gute Chefin/einen guten Chef aus? Danke, Philippe. 34

Lieber Philippe

Ja, da haben Sie natürlich Recht, das kann wirklich nicht sein, ist aber, wie Sie selber beschreiben, trotzdem oft der Fall. Ich habe mich gedanklich etwas auf Zeitreise begeben und meine Vergangenheit nach besonders guten und miserablen Vorgesetzten abgesucht. Zweitere waren leider einfacher zu finden und auch öfter vertreten, als die besonders guten. Und das wird vermutlich auch in etwa die Durchmischung sein, wie man sie überall im Markt antrifft und ist mitunter auch ein Grund, warum ich lieber selbständig bin.

Aber dennoch habe ich in meiner Biographie glücklicherweise auch sehr positive Beispiele finden können. Da war zum einen mein Vater, der seine Handwerkzeughandelsfirma sehr wohl höchst patriarchisch geführt (und mich damit immer wieder furchtbar genervt) und mich dennoch gelehrt hat, Entscheidungen zu treffen. Er war stets der Meinung, dass eine falsch getroffene Entscheidung immer noch besser ist, als eine nicht getroffene und diese Überzeugung habe ich in den knapp 3 Jahren, die ich für ihn gearbeitet habe, für mich übernommen. Jahre später hatte ich bei der UBS einen grossartigen Chef, der mein Talent erkannt, und mich in kurzer Zeit und ohne Bankausbildung von der Kassierin zur Anlageberaterin gefördert hat und der auch noch hinter mir stand, wenn ich mal etwas unkonventionell handelte (und ich handelte recht oft unkonventionell, wenn nicht sogar unorthodox und das war gerade im Umgang mit Orthodoxen wenig konventionell). Gleichzeitig war er streng und fordernd und hat mich ins Gebet genommen, wenn ich mal wieder ins Gebet genommen werden musste. Er war fair und er war genau und gleichzeitig war er ansprechbar für Veränderungsvorschläge und von Zeit zu Zeit bereit, 5 gerade sein zu lassen. Er musste immer wieder unpopuläre Entscheidungen, die weiter oben gefällt wurden, bei uns weiter unten durchsetzten und er liess ganz klar durchblicken, wo man mit ihm diskutieren und verhandeln konnte, und wo nicht. Wenn es nötig war, stellte er sich zu Hundert Prozent hinter mich (das war zum Beispiel dort von Vorteil, wo ich einen Kunden am Schalter ignorierte, der seinen Blick weit unterhalb meines Gesichts aufsetzte und ganz offensichtlich mit meinen Brüsten sprach, anstatt mir ins Gesicht zu schauen und dem ich nach mehrmaliger Bitte, ihm doch ein Sparkonto zu eröffnen sagen musste, dass meine Oberweite dazu leider nicht imstande sei und ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn ich es stattdessen tun würde und er daraufhin lautstark nach dem Chef rief, um sich furchtbar über mich zu beschweren und dieser dann sagte, er solle doch bitte gegenüber bei den Migros-Bank-Brüsten ein Konto eröffnen gehen) und wenn ich einen Bock geschossen hatte, dass liess er mich die Konsequenzen dafür tragen.

Und wenn ich hier beschreibe, welche Eigenschaften ich an Vorgesetzten schätze, so wird mir je länger je mehr bewusst, dass es in etwa die gleichen sind, die gute Eltern ausmachen. Gute Eltern sind nicht die besten Freunde ihrer Kinder und ein guter Chef will nicht zum Kumpel seines Teams werden. Kinder sowie Mitarbeiter wollen in erster Linie wissen, woran sie sind. Sie wollen die Verantwortung spüren, die man für sie trägt und aber auch die Gewissheit, dass man ihnen etwas zutraut. Gute Eltern und gute Vorgesetzte fördern die ihnen Anvertrauten und vergessen darüber auch nicht, Forderungen zu stellen. Sie erkennen Talente und Schwächen, sie loben und Sie tadeln, wenn es angebracht ist und sie haben den Mut, einen Streit zu schlichten. Sie stehen gerade für ihr "Team", aber auch für eigene falsch getroffene Entscheidungen.

Doch im Gegensatz zu Eltern dürfen und müssen sich Vorgesetzte ab und an auch von unfähigen Mitarbeitern trennen. Ein Chef, der wegsieht, wenn ein Teammitglied falsch spielt und wie ein Wurm den gesunden Apfel von innen aushöhlt, hat seine Position nicht verdient. Grenzen aufzeigen und angedrohte Konsequenzen auch umsetzen, anstatt immer nur ins Leere zu drohen machen Vorgesetzte wie auch Eltern erst richtig glaubwürdig. Und damit komme ich zur vermutlich wichtigsten Eigenschaft, die einen guten Chef (oder eine gute Chefin, ich meine selbstredend immer die weibliche und die männliche Form, bin aber leider zu faul, dies immer korrekt auszuschreiben) ausmachen, nämlich der Glaubwürdigkeit. Diese erlangt man erst, wenn man sich seiner eigenen Stärken und Schwächen im Klaren ist und auch bereit, sich ehrlich und mit heruntergelassener Hose zu reflektieren.

Mit Glaubwürdigkeit und der Bereitschaft zur Selbtreflektion ist es einem Menschen erst möglich, unbeliebte Entscheidungen, die eventuell weiter oben getroffen werden, an seine Mitarbeiter weiter zu geben, ohne deren Loyalität zu verlieren. Nur so kann ein Vorgesetzter eine Kultur schaffen, die getragen ist von gegenseitigen Respekt und frei von Angst vor Versagen.

Mit herzlichem Dank für Ihre spannende Frage und ebensolchem (also herzlichem, nicht etwa spannendem) Gruss! Ihre Kafi.

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