Liebe Frau Freitag. Meine beste Freundin (26) trinkt zu viel. Und ich meine nicht damit, dass Sie dann in ihrer eigenen Kotze liegt. Es ist viel diskreter. Das ist das, was mich beunruhigt. Sie trinkt zu oft und zu schnell. Während wir anderen in der Runde noch am ersten Glas Weisswein dran sind und plaudern, schenkt sie sie schon mit einem verschmitzten Lächeln das zweite, und dann verlegen das dritte ein. Wenn sie dann hinüber ist, weil sie zu viel getrunken hat, spielt sie am nächsten Tag alles herunter. Und sie hat auch nie einen Kater. Kein Kater = keine Reue. Aber wie will ich sie belehren gehen, wenn ich selber ab und wann im Ausgang abstürze. Meine Freunde und meine Generation trinken am Wochenende mal einen über den Durst. Wenn ich es ihr sage, ist es, wie wenn ein Raucher einem anderen Raucher sagt, er soll mal weniger rauchen. Eva, 25
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Liebe Eva
Was für eine spannende und auch anspruchsvolle Frage! Danke dafür!
Alkohol ist die am meisten verbreitete und gesellschaftlich verankerte und akzeptierte Droge überhaupt. Und keine Sau interessiert's. Während über Kokain und neuerdings auch wieder über Heroin viel geschrieben und diskutiert wird, stört sich an der abendlichen Flasche Wein kein Mensch.
Mich macht diese Tatsache auch immer wieder nachdenklich. Früher habe ich selten getrunken, aber wenn, dann richtig! Eine Strategie, die mein Hausarzt gegenüber dem moderaten aber dafür regelmässigen Alkoholkonsum übrigens als gesünder bezeichnet. Die Leber leidet unter dem alltäglich zugeführten Alkohol angeblich mehr, als wenn man ein bis zweimal pro Monat richtig Gas gibt.
In Ihrer Generation ist das Abstürzen am Wochenende mehr verbreitet, während meine Generation eher allabendlich eine Flasche Rotwein zum Nachtessen trinkt und am Wochenende deren zwei bis drei, damit man nachher wieder einmal miteinander schlafen kann. Die Selbstverständlichkeit, mit der man wöchentlich mit einer Einkaufstüte voller leerer Weinflaschen zur Altglassammelstelle wandert, hat mich schon immer befremdet. Aber das mag auch daran liegen, dass ich Wein nicht so gerne mag und Prosecco sich nicht so einfach mit einem guten Essen entschuldigen und nebenher trinken lässt.
Alkoholismus fängt für mich dort an, wo man nicht mehr bewusst über das Öffnen einer Flasche Irgendwas nachdenkt, sondern es automatisch geschieht. Und mir ist sehr wohl bewusst, dass nach dieser meiner persönlichen Definition etwa 65 % der Menschen Alkoholiker sind. Aber ich vermute nun einmal, dass ich mit dieser Schätzung auch nicht ganz so falsch liege. Aber leider ist es wenig sexy, über Alkohol als Droge nachzudenken. Dafür ist er zu legal, zu einfach beschaffbar und durch alle Bevölkerungsschichten zu verbreitet.
Dies mag vielleicht tatsächlich daran liegen, dass es einem schwerfällt, den Mahnfinger zu heben, wenn man gerade selber ein Glas in der Hand hält. Aber dennoch finde ich, dass man es tun soll. Sie machen sich über Ihre Freundin Sorgen, weil diese mit ihrem bagatellisierenden Gebaren das Verhalten einer Trinkerin an den Tag legt? Sprechen Sie mit ihr darüber. Natürlich gibt es das biblische Zitat "Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein." Aber es geht ja hier nicht um die Steinigung Ihrer Freundin, sondern vielmehr um die Sorge, die Sie umtreibt. Konfrontieren Sie Ihre Freundin darum nicht mir Vorwürfen, sondern einfach mit Ihren Bedenken.
Es ist ein Akt der Liebe, wenn man sich um jemanden sorgt und diese Sorge auch anspricht, anstatt einfach wegzusehen. Mit dieser Aktion begibt man sich allerdings auf dünnes Eis und schon manche Freundschaft ist darob zerbrochen. Oft kann die tragende Eisfläche dadurch aber auch an Festigkeit gewinnen und darum bin ich ein grosser Freund des ehrlichen Wortes.
Alles Gute, Ihre Kafi.
Ach und übrigens: Das mit dem Kater ist auch eine Frage des Alters. Bis vor kurzem war ich auch davon verschont. Reue hatte ich allerdings auch immer schon ohne. Lust aufs Trinken allerdings auch.