Liebe Frau Freitag, wie wird man eigentlich so meinungsstark wie Sie? Wenn mich Freunde um Rat fragen, stehe ich mir oft selbst im Weg, weil ich jedem Ratschlag, den ich ihnen geben könnte richtiges und eine falsches abgewinnen kann. Und dann eiere ich herum. Freilich nicht nur bei den Entscheidungen der Freunde, sondern auch bei den eigenen. Jede Entscheidung, die man trifft, jede Position, die man einnimmt, heisst doch auch, dass man daneben liegen kann. Oder mögliche bessere Wahlen ausschliesst. Und dann? Was machen SIE, wenn Sie einen Tipp später noch einmal durchlesen und mit Ihrer jetzigen Lebenserfahrung feststellen müssen, dass Sie völlig danebenlagen? Sabine, 34
Liebe Sabine
Kann mich jetzt gar nicht so recht entscheiden, was Ihnen darauf antworten soll, hahaha. Meine Meinungsstärke ist vermutlich zu einem grossen Teil angeboren. Ich habe schon als kleines Mädchen einen starken Kopf gehabt und eine für mein Alter feste Meinung. Zumindest weiss ich seit je her sehr gut, was ich will und was nicht.
Auch heute kann ich in der Regel recht fix Entscheidungen treffen und zu diesen auch stehen. Was bei genauerem Hinlesen eine totale Lüge ist. Denn vor ein paar Jahren (erst) habe ich realisiert, dass ich innerhalb der zwei Tage vor meiner Regel überhaupt nichts entscheiden kann. Denn während ich mich die restliche Zeit des Monats binnen 5 Minuten für ein neues Auto entschieden hätte, bin ich diesem Zeitfenster zu keinem Entschluss fähig. Dann sitze ich jeweils ewig vor der Menükarte im Restaurant, nur um dann nach der endlich getätigten Bestellung wie eine Gepickte in die Küche zu rennen, um nochmals etwas völlig anderes zu ordern. Oder ich stehe stundenlang vor dem Schrank und kann mich nicht entscheiden, in welcher Jeans ich jetzt in der Migros einen Liter Milch kaufen gehen soll.
So meinungsstark ich doch eigentlich auch bin, dann ist alles futsch. Seit ich das gemerkt habe, kann ich das besser handeln und gehe dann zum Beispiel nichts einkaufen. Denn obwohl ich in dieser Phase die Lieblingskundin jeder Verkäuferin bin: "Und in welcher der 8 Farben möchten sie diesen Schuh jetzt haben?", "ach, ich kann mich so gar nicht entscheiden, sind alle schön, ach geben Sie mir doch einfach alle mit, ach ach" ist es für mich unglaublich mühsam, dann nicht wirklich zu wissen, was ich eigentlich will.
Was nun die Tatsache anbelangt, dass man sich mit jeder Entscheidung gegen viele andere entschliesst, so kann ich Ihnen nur recht geben. Das stimmt natürlich. Und man weiss meistens erst im Nachhinein, was nun wirklich schlau war, und was weniger. Aber damit kann ich sehr gut leben, weil ich gelernt habe, dass auch eine im Nachhinein als falsch entschiedene Wahl oft etwas Gutes nach sich zieht. Das tut eigentlich jede getroffene Entscheidung, weil jede nicht getroffene die Energie vollkommen blockiert.
Ich komme mit jeder Frage, die ich beantworte, an diesen Punkt. Denn auf jede Frage gibt es sicherlich hundert Antworten, die irgendwie stimmig sind. Diese Tatsache könnte mich vollkommen kirre machen und ich könnte dann stundenlang hirnen und überlegen, welchem Ansatz ich nun folgen soll. Aber dann würde die ganze Sache ja wenig Spass machen und darum geht es mir ja in erster Linie, um die Freude an der Sache. Darum gehe ich weniger mit meinem Verstand, als mehr mit meinem Bauch und meinem Herzen an die Sache heran. Und die Forschung gibt mir recht! Entschlüsse, die nicht nur rational, also denkend, sondern auch fühlend gefasst werden, sind in einer Studie als die ausgewogensten identifiziert worden. Weil unser Verstand zwar viel analysieren kann, aber eben keinen Zugang zu unserer Gefühlswelt hat, die mindestens so wichtig ist. Wenn nicht sogar wichtiger. Intuition ist ein sehr guter Berater, habe ich gelernt. Und das musste ich tatsächlich erst lernen, weil ich von Natur her ein unglaublicher Kopfmensch bin, der am liebsten analysierend und denkend an Themen herangeht.
Und trotzdem bin auch ich nicht vor Fehlentscheidungen gefeit, liebe Sabine. Auch ich treffe ab und an eine Wahl, die sich im Nachhinein als ungünstig entscheidet. Oder meinetwegen auch als falsch. Aber das gehört auch zum Leben und darum mache ich mir genau dieses dann nicht schwer, indem ich mich hintersinne.
Sich über die guten Entscheidungen freuen und mit den weniger guten versöhnen ist wohl die Lösung. Und ja, es gibt in meiner Historie von 568 beantworteten Fragen deren 2, die ich wirklich als kreuzfalsch beantwortet betrachte. Die eine habe ich am darauffolgenden Tag neu beantwortet. Die andere habe ich sang- und klanglos so stehen lassen und nach einem Tag Bauchweh wieder aus meinem Fokus geschoben. Und nein, ich werde Ihnen jetzt nicht sagen, welche ich meine. Aber wenn Sie heute beginnen, die Antworten abzuarbeiten, dann werden Sie vermutlich in etwa 2.5 Wochen wissen, welche ich gemeint habe.
Ich hoffe sehr, dass Ihnen meine Herangehensweise bitzli auf die Sprünge hilft. Und grüsse Sie ganz herzlich. Ihre Kafi.