Liebe Frau Freitag Zum ersten Mal in meinem Leben wende ich mich an eine "Kummerkastentante". Ihr Blog hat so viel Pfiff, dass ich einen Versuch wage. Seit einem halben Jahr bin ich nach langer familiärer Pause wiedereingestiegen ins Berufsleben und habe einen ziemlich guten Job ergattert. Trotz familiärer Anbindung war ich stets eine Weiterbildungsjunkie, und ich verfüge auch über eine gute Grundausbildung, Referenzen, etc. So nebenbei habe ich meiner Arbeitskollegin erzählt, dass ich im Herbst eine Weiterbildung machen werde und schon alles in die Wege geleitet habe. Diese Woche geniesse ich Ferien. Heute war Teamsitzung und meine liebe Kollegin verkündet frischfröhlich, dass sie eine Weiterbildung macht und zwar genau die, wovon ich ihr erzählt habe. Ich bin platt und fassungslos, wie hinterhältig und berechnend sie mir in den Rücken fällt und meine Idee geklaut hat. Wieso ich das erfahren habe? Eine andere Arbeitskollegin hat es mir erzählt. Ich hätte die grösste Lust, meinen Job sofort zu kündigen. Dann hätte sie allerdings gewonnen. Liebe Grüsse. Sabine, 51
Meine liebe Sabine
Herzlichen Dank für Ihr Vertrauen, dass Die mir als Kummerkastentante entgegenbringen! Ich bin bereits mit viel Herzblut Tante und da fällt ein Kummerkasten auch nicht weiter ins Gewicht.
Nun wollen wir mal sehen, was sich da machen lässt. Ich habe Ihre Frage sicher fünf mal gelesen und bin trotzdem nicht schlau geworden, was genau das Problem ist. Aber es scheint eine Beschränkung meinerseits zu sein, leide ich doch unter einem schlimmen Gen-Defekt. Er wurde vor ein paar Jahren diagnostiziert und er bringt mich regelmässig in mehr oder minder grosse Schwierigkeiten, aber ich will nicht klagen, wenigstens bin ich seither der Star an jedem Ärztekongress und werde wie eine Trophäe herumgereicht.
Ich leide unter der höchst seltenen Diagnose "CME" (chronically missing enviousness), oder zu Deutsch: chronisch fehlender Neid. Diese Krankheit ist kaum verbreitet und wird daher von der Medizinbranche sehr stiefmütterlich behandelt und keinerlei Forschung betrieben. Das ist für mich persönlich sehr tragisch, weil ich dazu verdammt bin, weiter mit dieser Behinderung zu leben und keinerlei Aussicht auf Genesung besteht. Wie gerne würde ich auch einmal in meinem Leben das bittere Gefühl erleben, das einen heimsucht, wenn man jemandem anderen etwas nicht gönnen kann, aber ich kann nicht anders, als mich für andere zu freuen. Aber ich möchte Sie hier nicht mit meinen Problemen volltexten, Sie haben schliesslich genügend eigene.
Da steigen Sie nach Jahren familiärer Verpflichtungen wieder ins Berufsleben ein und ergattern sich einen tollen Job und die Möglichkeit auf eine spannende Weiterbildung. Und was geschieht? Da kommt doch wirklich eine Kollegin angelaufen und tut es Ihnen gleich! Was für eine Unverschämtheit, erdreistet sie sich doch tatsächlich die gleiche Ausbildung zu besuchen!!! Sie sollten mich sehen, liebe Sabine, mir fehlen die Worte!!! Ich kann nur noch mit vielen Ausrufezeichen auf diese Ungerechtigkeit reagieren, im Wissen darum, dass auch diese der Bodenlosigkeit dieser Angelegenheit in keinster Weise gerecht werden!!! Wie kann diese unmögliche Person es wagen, hinter Ihrem Rücken und in Ihren Ferien so einen Plan auszuhecken!!! Schliesslich hatten SIE diese brillante Idee, SIE allein!!! Und es kann doch nicht sein, dass die nun kommt und dies alles kopiert, wie nieder und niveaulos ist das denn!!! Selbst da, wo nach meinem Empfinden eigentlich Fragezeichen hingehörten, kann ich heute nur mit Ausrufezeichen reagieren, es ist wirklich schlimm!!! Und ich darf gar nicht daran denken, aber es könnte alles sogar noch schlimmer werden und ich will Sie ja jetzt nicht in die absolute Bewusstlosigkeit treiben, aber haben Sie jemals darüber nachgedacht, dass auch noch andere, Ihnen bis anhin vollkommen unbekannte Menschen, an dieser Weiterbildung teilnehmen könnten?
Und weil es so unglaublich ungerecht ist, haben Sie gar keine andere Wahl. Sie müssen diesen Fall vor den Menschenrechtshof in Den Haag bringen!!! Sie können das unter keinen Umständen auf sich sitzen lassen!!! Stehen Sie auf und wehren Sie sich!!! Das sind sie sich und allen anderen hintergangenen und unterdrückten Menschen auf der Welt einfach schuldig und ich bin überzeugt, der Prozess wird reine Formsache sein und die Kollegin wird ihrer gerechten Strafe zugeführt. Den Job würde ich selbstverständlich trotzdem künden, so ein Prozess ist schliesslich eine zeitraubende Angelegenheit und von der ganzen Medienarbeit will ich erst gar nicht reden!!!
Und sollte es wider Erwarten doch anders laufen, so machen Sie einfach das Beste daraus und freuen sich darüber, dass sie beide eine Fahrgemeinschaft bilden und zusammen diese Weiterbildung besuchen können.
Ich hoffe sehr, dass ich mein Handicap mit meiner überdurchschnittlichen Empathie etwas ausmerzen und Ihnen trotz allem weiterhelfen konnte.
Augenzwinkernd, Ihre Kafi.