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Liebe Frau Kafi, ich gehöre zu der ach so netten und rücksichtsvollen Gattung Mensch. Etwas mehr Ehrlichkeit/Direktheit ohne schlechtes Gewissen die nächsten Tage fände ich toll. Ich denke das muss man trainieren. Wo fange ich an. Bei der Kollegin, dem Freund, der Mutter oder besser auf öffentlicherem Terrain, bei einer Verkäuferin oder so? Kannst du mir ein Trainingsprogramm zusammenstellen? Braucht es vielleicht ausgleichende Tätigkeiten wie Umarmungen? Herzlich. Katrin, 30

Liebe Katrin

Ehrlichkeit und Direktheit hat viele Gesichter... Viele verstehen darunter, anderen ständig den Spiegel vorhalten zu müssen. Diese Art von Ehrlichkeit im Bezug auf andere Menschen ist keine grosse Kunst. Man erkennt innerhalb von Sekunden, welche Schraube bei jemandem locker sitzt, selbst bei wildfremden Menschen. Demzufolge würde mein persönliches Trainingsprogramm so aussehen, dass Sie einfach mal bei sich selber anfangen und einen aufrichtigen und ungeschönten Blick auf sich selber werfen. Damit werden Sie die nächsten 70 Jahre beschäftigt sein, das kann ich Ihnen versprechen. Denn im Gegensatz zu unserer ganz grossen Fähigkeit, die Macken unserer Mitmenschen mit spielender Leichtigkeit zu erkennen fällt es uns wahnsinnig schwer, die eigenen zu sehen. Auf diesem Auge sind wir alle irgendwie blind und darum würde ich die Schulung dort ansetzen. 

Wenn es aber eher darum geht, anderen Menschen auch mal ehrlich und direkt nein zu sagen, anstatt immer nur ja und Amen, dann sind Sie bei mir an der richtigen Adresse. Sich auch mal abzugrenzen und seine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen ist die Grundlage dafür, dass man auch mal unbequem sein kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Das ist eine Thematik, die wir Frauen besonders gut kennen, weil wir gern für andere sorgen und Verantwortung übernehmen, wo es vielleicht gar nicht nötig wäre. Männer sind davor natürlich auch nicht gefeit, aber wenn ich schaue, wie viele Frauen mit diesem Thema zu mir ins Coaching kommen und wie viele Männer, dann ist die Gewichtung eine recht klare. Das ist auch der Grund, warum meine Geschäftspartnerin und ich seit geraumer Zeit Seminare speziell für Frauen geben, die sich genau um diese Dinge drehen. In neuen Jahr werden die Selbstliebe und Selbstakzeptanz im Fokus stehen, weil wir oft zu streng mit uns selber sind und aus diesen Gefühlen heraus nicht den Raum einnehmen, der uns eigentlich zusteht. 

Und dort würde ich auch an Ihrer Stelle ansetzen. Pflegen Sie Ihren Selbstwert und die Liebe zu sich selber in dem Sie sich bewusst werden, dass die Liebe zum Nächsten bei sich selber beginnt. Aus dieser Erkenntnis heraus fällt es einem einfacher, wenn man die Erwartungen von anderen Menschen enttäuschen muss, weil man die eigenen mehr gewichtet. Das bedeutet nicht, dass man ein egoistisches Arschloch werden muss, sondern vielmehr, dass man in einer gesunden Balance lebt, in der man aus der eigenen Fülle heraus geben kann. Wer diese Fülle nicht regelmässig nährt, wird nämlich auf kurz oder lang ausbrennen und niemandem mehr etwas zu geben haben. Fangen Sie an, Ihrem eigenen Denken über sich zuzuhören! Ist dieses wertschätzend und liebevoll oder eher gehässig und destruktiv? Sind Sie sich selber eine akzeptable Freundin oder würden Sie sich gern in die Wüste schicken? 

Und was das Umarmen anbelangt; bitte ja! Die Welt kann etwas Liebe gerade sehr gut gebrauchen. Fangen Sie doch damit auch bei den Verkäuferinnen an, ich denke die werden sich - gerade in der Vorweihnachtszeit - über etwas menschliche Zuneigung sehr freuen. Oder sonst halt auch bei Ihnen, wir Menschen umarmen uns selbst viel zu selten.

Mit herzlichem Gruss, Ihre Kafi. 

 

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