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Liebe Kafi Freitag. Ich bin 36 Jahre alt, habe 2 Kinder und bin alleinerziehend. Seit ein paar Wochen treffe ich einen Mann, bis jetzt sind wir nicht zusammen ins Bett, aber dieses Wochenende soll es passieren, meine Kinder sind bem Grosi und er wird mich besuchen kommen. Nun habe ich Angst, schiebe fast Panik. Er sagt, er findet mich schön aber er kennt mich ja nur angezogen. Und das kann ich gut! Ich habe ein Faible für gute Klamotten, aber was wenn er mich nackt sieht? Ich habe Cellulitis und mein Bauch ist auch nicht gerade trainiert. Meine Brüste haben 2 Kinder gestillt und sehen dementsprechend aus. Soll ich absagen? Ich hab ihn wirklich gern und will ihn nicht verlieren! Danke für Rat. Isabelle, 36

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Meine liebe Isabelle

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, so würde man meinen. Und dann ist es beim näheren Hinsehen doch nichts als Stress und null Zauber. Ich als Mutter von einem Kind und ohne jegliche sportlichen Ambitionen kann Ihnen gut nachempfinden. Der Körper von uns Frauen verändert sich mit unseren Kindern und in unserer Wahrnehmung meistens nichts zum Besseren. Aber hinter diesem welligen Bauchgewebe hat mal ein Kind gewohnt und das muss uns Frauen erst mal einer nachmachen! Ich weiss, dass es nicht einfach ist, mit diesem neuen Körper Frieden zuschliessen. Aber es ist der Einzige, den Sie haben und Sie sollten ihm gut achtgeben und lieb zu ihm sein, so wie er lieb zu Ihnen war und Ihnen zwei Kinder geschenkt hat.

Trotzdem ist dieses erste Entblättern ein Stress, da kann man noch so im Frieden mit sich sein und bla bla. Das geht nicht nur uns Müttern so. Das geht allen Menschen so. Allen Frauen und den Männern auch. Wir Frauen sorgen uns, ob wir schlank und rank genug sind und 95% der Männer fragen sich, ob ihr Schwanz auch wirklich gross genug ist. Die anderen 5% haben entweder einen dermassen grossen, dass sie das schon oft zu hören bekommen haben, oder aber sie verfügen sonst über ein göttliches Selbstvertrauen.

Und um noch bei einer anderen Prozentzahl zu bleiben: 99 % der Menschen sehen in Kleidern besser aus, als ohne. (Warum ich das weiss? Gehen Sie doch einfach mal in eine Sauna.) Das andere 1 % ist Miss Bodyfit oder trägt sonst so ein Scheiss Fitnessbeautytitel und zieht sich extrem unvorteilhaft an. Diesen Stress können Sie sich drum gerne schenken. Die Männer haben inzwischen auch kapiert, dass wir uns in Push-ups und Spanx reinzwängen, um aus dem Vorhandenen mehr zu machen. Wie mehr wir gefakt haben, umso anspruchsvoller ist das Zeigen der nackten Wahrheit. Soviel zu den Fakten.

Beim ersten Sex geht es aber nicht um Fakten, liebe Isabelle. Es geht um was ganz anderes, nämlich ums Angenommen werden. Wenn zwei Menschen sich zum ersten Mal ungeschützt und ohne Kleider begegnen, geht es nicht um die Ästhetik der Optik, sondern um das Ausloten und Aufheben von Grenzen und Begrenzungen. Dass dieser Moment kein einfacher ist, liegt in der Natur der Sache. Schliesslich zeigen wir uns in dieser Form nur ganz wenigen Menschen und wir sind angewiesen darauf, dass unser Gegenüber dieser Tatsache Sorge trägt und uns nicht auslacht. Diese Befürchtung haben Männer genau so wie wir Frauen. Aus dieser Angst heraus haben die meisten Menschen den ersten Sex entweder alkoholisiert oder sonst irgendwie zugedröhnt. Nur wenige getrauen sich bei Tageslicht und ohne Substanzen an dieses Wagnis heran. Und dabei wäre dieser Weg eigentlich der schönste, wenn auch zugegebenermassen der anspruchsvollste.

Diesem ersten Moment wohnt tatsächlich ein Zauber inne und es wäre furchtbar schade, wenn man ihn mit Gedanken über seinen Bodymassindex vergeuden würde. Die Magie der ersten Berührung ist unwiederbringlich, es wird nie mehr so viel Mut kosten, die Hand nach dem Anderen auszustrecken.

Und wenn ich auch weiss, dass ein hungriges Übereinanderherfallen beim ersten Mal auch seine Vorzüge hat, so bevorzuge ich dennoch das langsame Ertasten und Erforschen des Anderen. Ganz einfach darum, weil es immer nur ein erstes Mal gibt und weil es nie wieder so spannend und riskant sein wird, die Haut des anderen zu berühren.

Gehen Sie frohen Mutes an Ihr Wochenende heran. Ihr Freund weiss, dass Sie kein retuschierter Victoria's Secrets Engel, sondern eine echte Frau aus Fleisch und Blut sind. Mit etwas Glück wird er Sie dennoch wie einen Engel behandeln, aber dafür müssen Sie mit gutem Vorbild vorangehen und sich genau so sehen. Sie sind zwei Liebende und der grosse Vorteil (neben ganz vielen Nachteilen) des Verliebtseins ist, dass einem das Leben und die Menschen in diesem Zustand wie durch einen rosa Hamilton-Filter erscheinen. (Und im übrigen habe ich noch keinen einzigen Mann über Cellulite reden gehört. Ich wage sogar zu behaupten, dass das männliche Auge diese gar nicht sehen kann.)

Mit einer herzlichen Umarmung. Ihre Kafi.

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