Liebe Kafi Freitag. Seit geraumer Zeit schon spiele ich mit dem Gedanken, in der Schweiz eine Stelle zu suchen. Nicht etwa, weil ich glaube, dort weniger arbeiten zu müssen. Ich hoffe aber auf eine Perspektive und sehe hier in Deutschland gerade keine. Bin offen und bereit, mich dort einzusetzen, wo man mich brauchen kann. In meine Entscheidungsfindung mischt sich aber all das mit ein, was man von der Schweiz und 'ihren Deutschen' so liest und hört. Was soll ich davon halten? Und vor allem: Was hat das mit mir zu tun? Annika, 33.
Liebe Annika
Wir Schweizer sind ein lustiges Völklein. Auf der einen Seite meinen wir immer alles besser zu wissen, (und zu können!) als alle Anderen um uns herum. (Im Speziellen aber Deutschland.) Auf der anderen Seite brechen wir sofort ein, wenn uns ein Ausländer seine Meinung sagt. (Im Speziellen aber, wenn es ein Deutscher ist.) So wie es der Christoph Plate tat, bevor er der Schweiz den Rücken kehrte.
Er sprach von latentem Antisemitismus, von Ausländerfeindlichkeit und geistiger Enge. Und gopf ja, er hat leider Recht. Die hohen Ausländerzahlen in der Schweiz sind kein Beweis dafür, dass wir unglaublich Ausländerfreundlich sind. Das wäre viel zu einfach und offensichtlich naiv. Es ist wahr, dass wir mit etwas über 20% einen doppelt so hohen Ausländeranteil haben, als zum Beispiel Deutschland. Allerdings ist die Zahl seit 1910 gerade mal um 5% angestiegen, denn damals waren es bereits 15%. Wenn man aber die Aktivitäten der SVP (unsere recht rechtslastige Volkspartei) anschaut, dann könnte man schon mal das Gefühl bekommen, die Zahl der Ausländer würde sich jährlich verdoppeln und wir wären schon übermorgen in der Minderheit!
Die SVP spielt mit einfachen Mitteln, hauptsächlich aber mit der Angst. Wir sollen uns fürchten vor dem finsteren Ausländer, der uns Böses will (den gibt es auch, aber er ist zum grössten Teil ein Kriminaltourist, und keiner der wirklich hier lebt) und wir sollen um unseren Wohlstand und unsere sicheren Jobs fürchten. Aber leider sägen wir selber an unserem Image und unserer Wirtschaftlichen Zukunft. Unsere Profitgier ist unermesslich und führt nicht nur dazu, dass wir sämtlichen Staaten weltweit Steuergelder entziehen, sondern auch dahin, dass ein Bankenchef eine Schweizerische Grossbank praktisch in den Bankrott treiben kann. Dafür sind allein wir verantwortlich, aber das wollen wir nicht hören.
Lieber geben wir Ausländern die Schuld an allem. An der Arbeitslosigkeit (zu viele Deutsche Ärzte an Schweizer Spitälern!), an der Wohnungsnot (zu viele Deutsche Ärzte an Schweizer Spitälern klauen uns auch noch die Wohnungen vor der Nase weg!) und wenn es sein muss, sind sie auch noch schuld, wenn wir im Tram stehen müssen. (Zu viele Deutsche Ärzte sitzen im Tram!) Wenigstens ist es einer von den toten Hosen, der sich der Melanie Winiger bemächtigt hat. Ich möchte mir nichtausmalen, was passieren würde, wenns einer von "die (deutschen) Ärzte" wäre!
Dass sich der Frust gerne gegen die Deutschen entlädt, hat oft mit unserem kleinen Selbstbewusstsein gegenüber Deutschland zu tun. Ein Italiener, Grieche oder Türke ist keine Bedrohung, weil er selten besser Deutsch spricht, als wir Schweizer. Ein Deutscher aber schon. Er denkt und spricht schneller und nicht selten bringt er es besser auf den Punkt. Das ist für uns Eidgenossen schwer zu schlucken.
Darum kann es sein, dass Sie nicht mit offenen Armen empfangen werden, wenn Sie zu uns kommen. Kommen sollten Sie aber unbedingt trotzdem! Weil mein Leben furchtbar arm wäre, ohne all die Eingewanderten, die ich um mich herum habe:
Da wäre zum einen mein deutscher Vater, der mir ein offenes Denken mitgegeben hat, mein kroatischer Ehemann, der mir manchmal schweizerischer vorkommt, als ich es bin, mein grossartiger italienischer Schuhmacher und der charmante Sizilianer, der mir ein Fahrrad gebaut hat, der serbische Garagist, der meinen inzwischen chinesischen Volvo immer wieder startklar macht und die griechische Kinderärztin, die sich um das gesundheitliche Wohl meines Sohnes kümmert, der ungarische Notfallarzt, der mich mitten in der Nacht Zuhause besucht, um mich von meinem Hexenschuss zu befreien, meine beiden Leib-Osteopathen aus Belgien, beziehungsweise Rumänien, unser bayerischer Trauzeuge und der Inder, der mir jede Woche frische Kokosnüsse bestellt, mein jüdischer Frauenarzt und der Holländer, welcher mit seinen klugen Kolumnen den Schweizern etwas Stil beizubringen versucht, der tschechische Hauswart, die kroatische Kosmetikerin, die sich um meine Schönheit kümmert und nicht zuletzt die Thai-Familie, bei der ich zweimal die Woche Abend esse.
Kommen Sie her und versuchen Sie hier Ihr Glück! Bringen Sie eine Flasche Rotkäppchensekt mit, die werden wir zwei dann auf Ihren Start hier trinken! Die Schweiz profitiert von Menschen mit anderem Background und Denken. Das hat sie schon immer. Es war ihr nur leider nie wirklich bewusst.
Mit ganz herzlichem Gruss, Ihre Kafi.