Liebe Kafi, ich hoffe Sie können mir helfen. Ich bin mal wieder völlig überfordert. Gerade eben hatte ich einen Disput mit einigen meiner Kollegen. Ausschlaggebend war das Gejammere - nein, sagen wir lieber die Beschwerde einer Kollegin, darüber, dass in ihrer Nachbarschaft ca. 60 Flüchtlinge in einem Haus untergebracht werden sollten. Sie sagte etwas von Anwalt und rechtlichen Schritten, sie will die nicht da haben und "jetzt kann meine Tochter nicht mehr allein in Garten" und Wertverlust der Immobilie oder so ähnlich. Ehrlich gesagt war ich geschockt, und hab einige hilflose Gegenfragen gestellt, bei denen ihr dann die anderen Kollegen zur Seite gesprungen sind. Nun meine Frage: Wie soll ich mit solchen Kollegen umgehen? Soll ich zusehen, wie sie sich gegenseitig in ihrem Wahn bestärken oder soll ich versuchen an ihre Vernunft zu appellieren? Oder haben die am Ende noch recht in ihrer Ablehnung und ihrem Eifer? Ich bin ja der Meinung, dass sie sich nicht freuen muss über neue Nachbarn, aber gleich so ablehnen? Sonja, 34
Liebe Sonja
Es gibt gottlob wenig, was mich wirklich zur Verzweiflung bringt. Aber Empathielosigkeit auf jeden Fall. Diese Kaltherzigkeit, die da gelebt wird, gepaart mit unendlicher Dummheit und Ignoranz. Es ist schwer auszuhalten.
Menschen, die sich erst in eine Situation einfühlen können, wenn sie selber mit Haut und Haar betroffen sind, tun mir ehrlich leid. Diese Unfähigkeit, über den eigenen, gut gefüllten Tellerrand zu sehen ist in meinen Augen eine schlimme Behinderung. Ein Handicap, das einen zu einem Hosenscheisserbürger macht, der nur noch um das eigene Wohl zittern kann, sobald er irgendwo Veränderung wittert. Diese Angst, die sich da breitmacht, wo diese Herzensbildung fehlt, ist ein ganz schlechter Begleiter.
Angst macht uns Menschen zu egoistischen Misanthropen, die sich den Luxus des Mitgefühls nicht mehr leisten können. Angst macht unseren Horizont klein und lässt unsere Herzen verkommen. Wer sich die Bilder dieser Tage anschauen und gegen ein Flüchtlingsheim sein kann, weil sich der Wert der eigenen Immobilie dadurch angeblich verschlechtert, dem fehlt jegliche Relation.
Dass wir hier leben und nicht in einem Gebiet, aus dem jeden Tag Tausende von Menschen die Flucht antreten, ist reines Glück. Es ist kein Verdienst, sondern ein rein zufälliges Privileg. Menschen, die sich aufführen, als hätten sie per Geburt ein Vorrecht über andere Menschen, kotzen mich wahnsinnig an.
Sie fragen sich nun, wie Sie mit diesen Personen umgehen sollen und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich weiss es auch nicht. Auf der einen Seite denkt man sich, dass man unbedingt im Dialog bleiben sollte, um etwas zu bewirken. Auf der anderen Seite zieht einem diese Denke so tief hinab, dass man fast in eine Depression schlittern könnte. Bei Ihnen geht es so weit, dass Sie sich fragen, ob die Kollegen vielleicht sogar im Recht sind.
Ich diskutiere sehr gern über verschiedene Ansichten und Lebensmodelle. Mit kaltherzigen Menschen mag ich aber nicht reden. Es tut mir nicht gut, höhlt mich innerlich aus. Darum habe ich entschieden, mich von solchen Kreaturen zu distanzieren und meine Kraft und mein Engagement denen zu schenken, die gegen das Elend ankämpfen. Meine Energie kann dort mehr bewirken, aber das ist sehr individuell.
Wenn Sie mit Menschen reden, die keine Empathie aufbringen können, dann erreicht man eigentlich nur mit einer Strategie etwas: Man muss einen persönlichen Bezug herstellen. Man muss dem Gegenüber klarmachen, dass es das eigene Kind sein könnte, was mutterseelenallein in einem fremden Land steht und auf die Menschlichkeit der Bevölkerung dort angewiesen ist. Man muss Bilder schaffen, vor denen niemand flüchten kann. Man muss das Elend in die Stube der Menschen befördern, damit diese keine Chance haben, ihre Augen und Herzen abzuwenden. Man muss aufzeigen, dass wir heute noch auf der Seite derer stehen, die helfen können, aber schon morgen auf die Hilfe anderer angewiesen sein können.
Wir Schweizer haben kein Elend erlebt. Wir haben den Krieg aus sicherer Entfernung an uns vorbeiziehen lassen und kennen keine wirkliche Not. Wir sitzen wie fette Maden im Speck und haben keine Vorstellung davon, was es bedeutet auf der Flucht zu sein, zu frieren und zu hungern.
Wenn es Ihnen gelingt, diese Gefühle zu vermitteln, dann können Sie etwas erreichen. Wir sollten es wenigstens versuchen, so finde ich. Und wir müssen unseren Einfluss dort geltend machen, wo er etwas bewirkt. Nämlich an der Urne mit unseren Stimmen. Wer am 28. Februar zu Hause sitzen bleibt, anstatt sich zur Urne zu bewegen und ein klares NEIN gegen die Angst zu setzen, der macht sich zum Gehilfen der Empathielosigkeit.
Mit Gruss von Herzen. Ihre Kafi.