Liebe Kafi. Nach Ostern bin ich wieder einmal fertig mit meiner Schwiegerfamilie. Bei Ihnen ist alles kompliziert, sie sind empfindlich und sprechen nicht miteinander. Viele Vorwürfe, kein Lob, viel Kritik. Kein Wunder gibt es Weinattacken und verletzte Gefühle. Jedesmal das selbe. Am liebsten würde ich mir diese Gesellschaft nur in ganz kleinen ausgewählten Dosen zuführen. Leider wohnen wir über 600km auseinander und wenn wir dann schon da sind, bleiben wir auch ein wenig. Was kann ich tun? Rebecca, 36
Liebe Rebecca
Wenn es etwas gibt, was ich wirklich nicht verstehe, dann, warum man sich so was antut. Ich war ja erst zwei Mal verheiratet und habe daher keine Ahnung von der Ehe, aber ich musste nirgends unterschreiben, dass ich die Leibeigene der Schwiegerfamilie und damit verpflichtet bin, solchen Zusammentreffen beizuwohnen. Meine eigene Familie ist schon recht anstrengend für mich, warum sollte ich mir da noch die meines Partners volle Kante geben? Ist das eine neue Form von Masochismus oder was?
In meiner Praxis sitzen oft Frauen (es sind immer Frauen), die über ähnliche Situationen klagen. Wenn ich dann vorschlage, einfach nicht mitzugehen, dann werde ich zum Teil angeschaut, als hätte ich Analsex mit dem Esel vom Hof nebenan vorgeschlagen. Es scheint im Weltbild von ganz vielen Menschen nicht einmal als halb durchsichtiger Hauch einer Option zu existieren, sich gewissen Dingen zu entziehen. Lieber geht man mit und leidet und ärgert sich Wochen später noch darüber und schreibt mir dann eine Frage. Und beim nächsten Mal geht man schon mit dem flauen Gefühl im Bauch und wundert sich dann total, dass es wieder so ätzend war, obwohl man schon Tage zuvor alle Energie in diese Erwartung hat fliessen lassen. Die meisten zahlen diesen hohen Preis, weil sie sich einreden, dass sie damit ein Geschenk an ihre Beziehung machen. "Meinem Mann ist es wichtig, wenn ich dabei bin". Das ist schön und gut. Und extrem kurzsichtig. Denn das tatsächliche Geschenk sind die Spannungen und die Auseinandersetzung, die davor, während und danach da sind. Diese belasten die Paarbeziehungen viel mehr, als wenn man dem Partner erklärt, dass man etwas nicht macht, weil es einem nicht gut tut. Das hat auch mit Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Beziehung zu tun. Denn schliesslich ist es der Partner, der all die miesen Gefühle abbekommt. Da kränkt man doch lieber die Schwiegereltern und schützt den Mann, oder wer ist Ihnen wichtiger?
Jetzt mal ernsthaft, liebe Rebecca. Was soll der Scheiss? Sie haben X Möglichkeiten, die Sache zu umgehen. Sie können Zuhause bleiben. Sie können für die letzten 24 Stunden mit dem Zug anreisen und dazustossen. Oder Sie machen es so, wie Sie selber schon vorgeschlagen hatten: Sie stürzen sich in die Weinattacke. Ich bin nicht so ein grosser Freund von Alkohol, aber ich denke auch, dass hier die richtige Menge Wein hilfreich sein könnte.
Herzlich, Kafi