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Liebe Kafi. Sag, wohin reist man, wenn man Ferien von sich selbst braucht? Anne-Sophie, 27

Liebe Anne-Sophie

Manch eine/r würde sich jetzt sehr über eine Liste mit hübschen Destinationen freuen. Aber ich denke, dass Sie genau wissen, dass Sie diese hier nicht bekommen werden. Die Menschen, die mir schreiben und mich um Rat fragen, suchen nicht nach einer naheliegenden Antwort. Die bekommen sie gratis von der besten Freundin oder in den Kommentarspalten des World Wide Webs. Doch leider sind es selten die einfachen Antworten, die zur Lösung führen. Trotzdem werde ich immer wieder um einfache Lösungen gebeten. Der Wunsch, nach dem leichten Weg ist tief in uns verankert. Und gleichzeitig wissen wir genau, dass wir um die Ecke denken und zwischen den Zeilen lesen müssen, wenn wir uns weiter entwickeln wollen. 

Sie fragen nach Ferien von sich, liebe Anne-Sophie. Und genau dort liegt das Problem. Das Konzept Ferien ist an sich schon ein Denkfehler. Es ist schön und gut, wenn man verreisen möchte, um etwas Neues zu sehen und auf frische Gedanken zu kommen. Aber die meisten Menschen fahren weg, weil sie sich selber nicht mehr aushalten, oder das Leben, in dem sie sich befinden. Sie sind auf der Flucht vor sich selber und wundern sich, dass auch das schönste 5 Sterne Hotel und der exotischste Ort der Welt kein Asyl vor sich selbst bieten. 

Anstatt in sich selbst nach der Antwort zu finden, buchen sie Flüge an ferne Orte und posten Bilder von hübschen Infinitypools. Dort sitzen sie dann 2 Wochen und baden in der Illusion, sich neu erfunden zu haben und sich gleichzeitig aus dem Weg zu gehn. Aber kaum zu Hause angekommen merken sie, dass die Fassade bröckelt und die Unzufriedenheit wieder einzieht. Die Selbsttäuschung bleicht aus, wie es die Ferienbräune tut. Und zurück bleibt Leere, die man mit dem Buchen des nächsten Urlaubs zu füllen versucht. 

Natürlich können Sie das auch so handhaben, Sie währen mit dieser Art des Wegschauens in bester Gesellschaft, es ist ein einfacher und sehr beliebter Weg. Aber irgendetwas sagt mir, dass Sie bei mir nach einer anderen Lösung suchen. Und die werden Sie bei mir kennenlernen. 

Es geht im Leben nicht darum, vor sich wegzulaufen und sich von sich selber zu erholen, sondern darum zu lernen, sich selber auszuhalten. Das ist keine einfache Sache und es gibt keinen geteerten Weg dahin. Aber die Reise ist Teil der Antwort, der Weg ist das Ziel. Wenn Sie, wie ich ein Leben gewählt haben, dass Sie immer wieder mit Grenzen konfrontiert und Sie immer wieder dazu zwingt, über diese hinauszuwachsen, dann müssen Sie früher oder später eine Strategie finden, nicht daran zu zerbrechen. Das ist eine Thematik, mit der sich nicht jeder Mensch auseinandersetzen muss. Viele können durch ihr Leben gehen, ohne damit konfrontiert zu werden. Die seelische Bandbreite ist nicht genormt und es wird viele geben, die nicht verstehen, wovon ich hier schreibe. Das ist keine Frage der Intelligenz und keine des Intellekts. Und es ist auch kein elitäres Konzept, das es zu erreichen gilt. Es ist frei von Wertung und Qualifikation, sondern schon eher eine Bürde, die man sich nicht ausgesucht hat, die man aber trägt oder daran zerbricht. Es ist nicht ganz einfach in Worte zu fassen, worüber sich die Parameter definieren, aber ich verlasse mich darauf, dass die betroffenen Menschen genau wissen, dass sie gemeint sind. Und ich verlasse mich darauf, dass ich Ihre Frage richtig deute. 

Finden Sie den für Sie stimmigen Weg, um sich nicht verloren zu gehen. Die Welt ist sehr schnell und die Welt ist sehr laut. Es ist ein Leichtes, die eigene Stimme im Gewirr der Meinungen nicht mehr zu verstehen. Suchen Sie in sich den Ort, der Ihnen eine Akustik bietet, in der Sie auftanken und sich wieder hören können. Ich weiss, dass es heute 1001 Kurse und Weltanschauungen gibt, die Ihnen eine Abkürzung dorthin versprechen. Und es mag sein, dass manche Menschen eine Methodik und ein Lehrbuch brauchen, um sich auf diese Reise zu machen. Aber in Tat und Wahrheit brauchen Sie kein Yoga und kein Schweigeseminar, um die Antwort zu finden. Sie brauchen keine Weltreise und Sie brauchen keinen Lehrer, der Sie angeblich an der Hand nimmt und führt. Das alles mögen wertvolle Gehhilfen sein, aber in letzter Konsequenz kann Ihnen niemand den Weg abnehmen. 

Sie tragen in sich einen Raum, der Ihnen all das bietet, was Sie suchen. Diesen werden Sie finden, sobald Sie die Balance zwischen Geben und Abgrenzen gefunden haben. Die Balance zwischen Liebe und Selbstliebe. Und den Mut, manchmal konsequent nur für sich selber da zu sein, um Energie zu tanken für das Engagement für andere. Viele Menschen missverstehen diesen Akt als Egoismus. Aber das ist es nicht. Es ist ein tiefes Verständnis darüber, dass man aus einem leeren Brunnen kein Wasser schöpfen kann. Es ist das wahre Prinzip von Liebe. 

Ich weiss, dass ich Ihnen mit meinen Worten keine klare Anleitung gegeben habe. Das mache ich bekanntlich selten, weil ich weiss, dass eine Lösung, auf die man selber kommt, viel wertvoller und nachhaltiger ist, als eine die man auf dem Silbertablett überreicht bekommt. Die Lösung liegt nie ausserhalb von einem, sondern immer innerhalb. Darum verweigere ich mich der plakativen einfachen Antworten und zwinge meine Leserschaft zum Nachdenken. Manchen missfällt dieser Aufwand, sie wollen nicht auch noch selber arbeiten müssen, sondern fordern vorverdaute Patentrezepte. Die Tatsache, dass man gewisse Fragen genau mir stellt und nicht einem Automaten für Flüssigbrei bestätigt mich aber darin, dass ich auf dem richtigen Weg bin und ich werde auch künftig nicht davon abweichen. Im Wissen darum, dass es nicht meine Aufgabe ist, es jemandem einfach zu machen, sondern höchstens ein paar wichtige Weichen zu deblockieren. 

Ich hoffe sehr, dass es mir bei Ihnen gelungen ist, liebe Anne-Sophie. Bleiben Sie sich treu und lernen Sie, sich auszuhalten. Dann sind Sie auf dem richtigen Weg. 

Alles Liebe! Ihre Kafi

 

 

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