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Liebe Kafi. Um ehrlich zu sein: ich bin gerade eben ziemlich hilflos. Ich war bis vor kurzem ein rundum zufriedener Mann mit einer tollen Frau und zwei grossartigen Kindern im Krippenalter. Und dann kommt plötzlich und quasi über Nacht der Wunsch nach Veränderung in mir hoch. Ich weiss nicht so wirklich um was es wirklich geht und kann es dementsprechend leider auch nicht klarer ausformulieren, bitte entschuldige. Es scheint mir aber primär um meine Frau zu gehen, die mir nach all den Jahren plötzlich so fremd erscheint. Aber ich hab ja auch nicht den Anspruch, dies von dir erklärt zu kriegen. Obwohl es natürlich fein wäre, wenn du (oder wer auch immer) mir die grossen Lebensentscheidungen abnehmen könntest. Aber wie gesagt, um das geht es ja nicht. Wo war ich? Genau, bei der folgenden Frage die sich in mir eingenistet hat: Wie weit darf ich als Vater, mein ganz persönliches Glück in den Vordergrund rücken? Ist es legitim zu glauben, dass ein glücklicher Vater, der aber von der Mutter getrennt lebt, seinen Kindern finalmente ein besserer Vater ist, als ein Vater, der seiner Familie zuliebe mit seiner Frau unglücklich vereint ist? Herzliche Grüsse und vielen Dank! Stefan, 33, 33

Lieber Stefan

Ja, das ist durchaus legitim. Und grundsätzlich bin ich auch ganz Ihrer Meinung, wenn es darum geht, dass Eltern nicht allein ihren Kinder zu liebe zusammenbleiben sollten. ABER...

... so einfach ist es trotzdem nicht. Auch wenn ich es gerne einfach mag, weil ja eh schon alles viel zu kompliziert ist. In Ihrem Falle lohnt es sich durchaus, der Sache etwas detaillierter auf den Grund zu gehen. Sie sind also 33, haben eine tolle Frau und zwei grossartige Kinder im Krippenalter und eines Morgens stehen Sie mit dem undefinierten Wunsch nach Veränderung auf, weil Ihnen Ihre Frau nach all den Jahren fremd erscheint und Sie möchten darum am liebsten weg.

Es kann gut sein, dass Ihnen mein Destillat Ihrer Frage etwas gar unbesonnen verkürzt vorkommt und das ist auch meine volle Absicht. Weil ich nämlich das Gefühl habe, dass Sie zwar an eine Trennung von Ihrer Frau, und trotzdem nicht weit genug denken.

Aber lassen Sie uns doch zuerst einmal etwas zurückschauen. Sie sind heute 33 Jahre alt und haben zwei Kinder im Vorschulalter. Sie sind also mit Ende 20 Vater geworden und haben bereits sehr früh Verantwortung für eine Familie übernehmen müssen. Genau so wie Ihre Frau, die vermutlich ungefähr im gleichen Alter wie Sie ist. Dass Kinder eine Beziehung stark belasten und rigoros verändern, habe ich schon mehrfach in aller Deutlichkeit geschrieben und dies gilt auch für Kinder, die grossartig sind. Kinder sind nämlich die grössten Egoisten, die man sich vorstellen kann und sie saugen die Energie aus einer funktionierenden Paarbeziehung, wie Blutegel aus einer Arterie.

Darum ist es für ein Paar auch so wahnsinnig leicht, sich in dieser Zeit abhandenzukommen. Man funktioniert tagein, tagaus und vergisst darüber, wen man eigentlich sein, wo man eigentlich hin wollte. Sei es gemeinsam als Paar, aber auch als eigenständiges Individuum. Man geht sich buchstäblich verloren ob all dem Alltag und so kann es einem passieren, dass man eines Morgens aufwacht und sich fragt, ob das wirklich schon alles war.

An diesem Punkt sind Sie nun angelangt und das ist auch gut so. Weil es davon zeugt, dass Sie ehrlich und reflektiert mit Ihren Empfindungen umgehen können und weil Sie bereit sind, hinzusehen. Wie viel einfacher wäre es doch, heimlich eine aufregende Affäre zu beginnen, eine Art Frischzellenkur für Ihre bestehende Beziehung? Sie könnten Ihr persönliches Glück klammheimlich an der Familie vorbeischleusend extern suchen, in der Illusion, beides haben zu können. Aber ehe Sie sich versehen, würden Sie sich in einer Wiederholungsschleife wiederfinden. Denn jede noch so aufregende Geschichte erkrankt nach 90 Tagen an lahmender Begierde und jede längerfristige Beziehung will mit viel Dünger gepflegt werden!

Nehmen Sie Ihre Gefühle ernst und gehen Sie verantwortungsvoll mit Ihnen um, indem Sie offen und ehrlich mit Ihrer Frau darüber reden. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass Sie sich in einer ähnlichen Phase befindet und sich die gleichen Fragen stellt. Dann wäre es nämlich ein guter Zeitpunkt, die Sache zusammen anzugehen. Gemeinsam zu schauen, ob man sich wieder etwas näher kommen kann, oder ob man sich schon zu lange zu fremd ist. Vielleicht reicht es bereits aus, wenn man sich mal für eine kurze Zeit als Eltern verabschiedet, um als Paar in Urlaub zu fahren, vielleicht lohnt es sich, eine Paartherapie zu besuchen.

Gehen Sie, so weit Sie beide können und riskieren Sie Kopf und Kragen für Ihre Beziehung! Seien Sie Ihren Kindern gegenüber mal etwas egoistischer und nehmen Sie sich Zeit und Raum für sich als Paar! Seien Sie radikal in Ihrem Denken und Handeln und geben Sie erst auf, wenn der Patient, die Liebe, wirklich Exitus ist!

Wenn Sie ohne diese Anstrengungen gehen, werden Sie nur schwer ertragen können, was an Schmerzen über die Familie kommt. Eine Trennung ist nie einfach und mit Kindern noch viel weniger. Natürlich scheint der Gedanke vom glücklich getrennten Papi und der glücklich getrennten Mami, die sich beide wieder voll verwirklichen können, wunderbar. Aber die Realität ist meistens eine andere. Die Trennung als Familie bringt viele logistische und finanzielle Schwierigkeiten mit sich und es ist alles andere als einfach, danach wieder eine funktionierende Paarbeziehung aufzubauen.

Wenn ich hier auch des Öfteren schon zum mutigen Abschluss einer Beziehung geraten habe, so tue ich heute und bei Ihnen genau das Gegenteil. Bitte geben Sie noch nicht auf. Bitte laufen Sie nicht einfach weg. Geben Sie sich und Ihrer Frau die Chance, sich wieder neu kennenzulernen. Es lohnt sich. Denn mit keiner anderen Frau wird es jemals wieder so schön sein, gemeinsam mit den Kindern am Sonntagmorgen im gleichen Bett aufzuwachen.

Alles Liebe! Und Mut! Und Beharrlichkeit! Ihre Kafi.

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