Liebe Kafi. Unter welchen Umständen würdest Du einen Burkini tragen? Hochachtungsvoll! Renato Kaiser, 31
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Lieber Renato
Nun haben Sie geschlagene 4 Stunden neben mir im SRF3 Studio gesessen und dort die von mir sehr geschätzte Franziska von Grünigen in der WochenRundShow in den Wahnsinn getrieben und wissen noch immer nicht, wie mein Blog funktioniert. Das könnte mich jetzt sehr nachdenklich stimmen, aber nachdem es LeserInnen (und vor allem KommentatorInnen) gibt, die es nach knapp 3 Jahren noch nicht kapieren, kann ich Ihnen wohl kaum einen Vorwurf machen.
Für Sie und alle anderen hier werde ich es gerne nochmals erklären. Man darf mir auf dieser Seite hier alle Fragen zum Leben stellen, die man so hat. Diese dürfen sich um praktisch jedes Thema drehen. Ausser Politik, wie mein neuer Chefredaktor findet, denn auch er hat den Sinn meines Blogs nicht erkannt und das obwohl er ein bekennender Fan meiner Arbeit ist. (Und das stimmt mich nun tatsächlich sehr nachdenklich, denn wenn man nach knapp 5 Jahren Frag Frau Freitag behauptet, mein Blog sei eine Lebensberatung in der politische Themen keinen Platz haben, dann kann ich eigentlich auch wieder aufhören damit.)
Ich stelle mich sämtlichen Fragen, die meine Leserschaft in deren Leben umtreibt. Mich umtreiben politische Themen sehr und darum gehe ich davon aus, dass es den LeserInnen da draussen auch so geht. Und darum werde ich mich auch weiterhin politisch äussern. Und zwar hier, etwas später in dieser Antwort. Was ich aber nicht mache, ist Fragen zu meiner Person beantworten. Ich bringe schon genug von mir in jede meiner Antworten ein, das muss reichen. Darum würde Ihre Frage den Weg in meinen Blog für gewöhnlich nicht finden. Da Sie aber den extrem begehrten Hauptpreis, den niemand aus der Hörerschaft haben wollte (auch das könnte mich nachdenklich stimmen, aber ich habe nach obigen Gedanken schon genug Stoff zum nachdenklich sein für die ganze Woche) an sich gerissen haben und mir eine Frage stellen dürfen, die ich heute und hier beantworte, nehme ich mich dem Thema dennoch an.
Natürlich könnte ich mich jetzt dem Thema Burkini widmen und die Sache dann bleiben lassen. Aber das ist mir natürlich nicht genug, denn hinter der Burkini Sache steht die Burka Sache und dahinter der Versuch, unserer Angst vor dem Fremden irgendwie Herr zu werden. Trotzdem will ich die Frage, wie sie gestellt wurde, kurz abhandeln. Ich trage bereits seit Jahren einen Burkini. Meine Haut ist weiss wie eine Schneeflocke, wie es sich für eine Roothaarige gehört. Und meine Eigenschutzzeit in der Sonne beträgt ungefähr eine halbe Sekunde. Ich sitze darum den grössten Teil meiner Zeit mit Kopfbedeckung (oft sogar Kopftuch!) und langen Ärmeln am Strand. Manchmal auch in langen Hosen oder einem langen Kleid. Das hat bis anhin niemanden wirklich gestört, so wie es in niemanden stört, wenn man sich im Ganzkörperneoprenanzug in die Wellen stürzt. Ich könnte mir drum gut vorstellen, ab sofort Burkini zu tragen und sei es nur aus Protest gegen den Wahn, der sich kürzlich in Frankreich abgespielt hat.
Die Idee, dass sich die Polizei in meine Garderobenwahl einmischt, finde ich sehr bedenklich. Sie kommt einer Zensur gleich, wie ich sie nirgends und nie nicht haben möchte. Und dennoch weiss ich, dass diese Aktion nur ein weiterer Ausläufer unserer Angst vor dem Islamismus war und ist. Alles was anders ist, als wir selber es sind, macht uns grundsätzlich einmal Angst. Das ist ein normales Verhalten, es hat uns vor ganz ganz vielen Tausend Jahren vor bösen Tieren und Angriffen anderer Stämme geschützt. Heute sieht die Sache aber etwas anders aus. Wir leben inmitten von Menschen, die eine andere Hautfarbe haben oder sich anders kleiden und wir mussten und müssen lernen, dass das für uns keine Gefahr bedeutet. Dennoch reagiert etwas in uns wenn wir Menschen begegnen, die anders sind als wir. Unser Bewusstsein nimmt noch immer Notiz davon, wenn wir mit einem Menschen anderer Hautfarbe in Kontakt kommen, den wir nicht persönlich kennen. Oder wenn wir einen sehr dicken Menschen sehen. Oder einen magersüchtigen, einen Kleinwüchsigen oder einen Behinderten. Unser Auge streift einen solchen Menschen und wir denken etwas dabei, meistens etwas Wertendes. Das ist sehr doof und dennoch passiert es. Uns allen. Dieses automatische denken und werten hört erst dann auf, wenn wir den Menschen näher kennen lernen und uns an sein Anderssein gewöhnen. Wenn wir also keine "Angst" mehr vor ihm haben.
Ich verstehe den Ruf nach Enthüllung weil wir es, wie es Gottfried Locher, Präsident des Evangelischen Kirchenbundes und des Rates der Religionen im heuten Tagi Interview schön gesagt hat, gewöhnt sind, mit dem Gesicht hinzustehen und in ein Gesicht zu blicken. Gleichzeitig habe ich es hier tagtäglich mit Kommentatoren zu tun, die sich hinter lächerlichen Avatarnamen verstecken und mir aus diesem feigen anonymen Hinterhalt heraus ans Bein pissen. Keiner dieser armen Würstli steht mit seinem Namen und seinem Gesicht hin, alle tragen sie eine imaginäre Burka, die ihre Identität verhüllt.
Vielleicht denke ich deswegen etwas anders über die Sache. Wenn wir anprangern wollen, dass man in unserer Kultur und unserer Gesellschaft mit seinem Gesicht hinstehen soll, dann sollten wir das zuerst in unserem engsten Wirkungskreis tun und einfordern. Watson sollte ab sofort eine richtige Identität verlangen, bevor man Leser uns Schreibenden vor die Füsse kotzten lässt und wie es Güzin Kar jüngst auf ihrer Facebook Seite so treffend geschrieben hatte, sollten anonyme Mailschreiber sich mal fragen, warum sie nicht mit ihrem Namen und ihrem Gesicht zu ihrer Meinung stehen können.
Ob man den Burkaträgerinnen mit einem Verbot nützt oder schadet, weiss niemand von uns. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass die betroffenen Frauen plötzlich in westlicher Alltagskleidung durchs Quartier hüpfen, ich befürchte eher, dass sie ganz von der Bildfläche verschwinden. Und ihre kleinen Kinder somit auch. Aber es wäre ein weiterer Eingriff in einen Bereich, den wir selber noch nicht wirklich gelöst haben: die Gleichstellung von Mann und Frau. Warum halten wir nicht erst einmal unser Maul und hören auf mit unseren Fingern auf verhüllte Frauen zu zeigen und schauen dafür, dass Frauen und Männer in gleichen Jobs eine gleich dicke Lohntüte nach Hause tragen? Warum kümmern wir uns nicht erst einmal darum, dass ein Vater gleich viel Zeit mit dem neugeborenen Familienzuwachs verbringen darf, wie die Mutter?
Es ist so furchtbar einfach, die Fehler und Unzulänglichkeiten der anderen zu erkennen, während wir für die eigenen blind zu sein scheinen. Es ist so furchtbar einfach Politik zu betreiben, indem man unsere Ängste schürt. Wäre es aber nicht sinnvoller, wenn wir die Ängste abbauen würden, indem wir uns der Begegnung uns unseren eigenen Ängsten stellen? Anhst ist ein schlechter Berater. Immer.
Alles Liebe! Ihre Kafi