Mein Partner und ich sind politisch links eingestellt. Die italienische Frau meines Bruders würde ich als SVP- Wählerin bezeichnen, wenn sie wählen könnte. Aussagen wie "alli Usländer usschaffe", " ich mag Türke nit so" haben dazu geführt, dass mein (ebenfalls italienischer) Partner keinen Kontakt mehr zu ihr will und sie unseren 2 jährigen Sohn nicht mehr sehen darf. Für ihn ist sie eine dumme Nazisau. Ich stehe zu ihm, treffe nur meinen Bruder mit unserem Sohn. Wie komme ich dennoch zur Ruhe? Nadine, 33
Liebe Nadine
Immer wieder erstaunlich, wie Ausländer oder Eingebürgerte, die in der Schweiz leben, über andere Ausländer reden. Nicht selten sind deren Meinungen noch viel radikaler, als es die von SVP-Wählern mit Schweizer Hintergrund, schon sind. Ich frage mich dann jeweils auch, wie man so schnell vergessen kann, dass man eben selbst noch ein Ausländer, auf etwas Goodwill der Menschen angewiesen war. Mich bringt diese Amnesie, welche die Herzen der Menschen so hart macht, an eine persönliche Grenze. Fremdenfeindlichkeit ist für mich immer schwierig, aber bei gewissen Absendern kann ich es noch weniger verstehen, macht es mich noch wütender und hilfloser. Da verlangen Ausländer, dass man andere Ausländer ausschafft und ein strunzdummer Felix Baumgartner stellt ein Bild von sich, seinem Porsche und zwei schwer bewaffneten Grenzbeamten auf Facebook und bedankt sich bei diesen, dass diese die Grenze gegen illegale Einwanderer schützten.
Ich kann Ihrem Partner darum sehr gut nachfühlen, dass er keinen Wert mehr auf diesen Kontakt legt. Mir ginge es vermutlich kein bisschen anders. Ich könnte es auch nicht mit meinen Werten vereinbaren, eine Freundschaft zu Leuten zu pflegen, welche genau diese Werte mit Füssen treten. Und fast noch schlimmer, wenn es eine familiäre Beziehung ist, die es betrifft.
Wie Sie nun zu Ihrer inneren Ruhe zurückfinden, kann ich auch nicht wirklich beantworten. Ich kann verstehen, dass Sie ein Bedürfnis danach haben. Und dennoch frage ich mich, ob diese Ruhe hier am richtigen Platz ist. Während in Deutschland viele Juden deportiert wurden, haben sehr viele Menschen weggesehen und den Mund gehalten, damit Ruhe war. Heute ertrinken täglich unzählige Menschen im Meer oder sterben unter unmenschlichen Bedingungen an Grenzen und in Flüchtlingslagern. Vielleicht ist jetzt einfach nicht der richtige Zeitpunkt für Ruhe, liebe Nadine. Vielleicht sollten wir alle aufstehen und so viel Unruhe stiften, bis der hinterste und letzte Mensch in der Schweiz begriffen hat, dass wir unsere Solidarität wahrnehmen und unsere Grenzen und Herzen öffnen müssen.
Mit herzlichem Gruss. Ihre Kafi