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Sehr geehrte Frau Freitag, ich habe folgendes Problem: Habe einen tollen Typen kennengelernt und es stimmt alles ausser die Tatsache, dass er in meinen Augen nicht küssen kann. Sagen will ich ihm dies aber nicht, abservieren aber ebenfalls nicht. Was soll ich tun? Cora, 21

Liebe Cora

Sie gefallen mir. Ihre Anrede ist entzückend und die Tatsache, dass Sie nicht prinzipiell sagen, dass er nicht küssen kann, sondern es auf Ihre Sicht beziehen, ist bemerkenswert. I like!

Dennoch fällt mir die Antwort nicht leicht. Von meinen Nichten und anderen jungen Frauen Ihres Alters weiss ich, dass es in Zeiten von Tinder und Co. nicht ganz einfach ist, an einen Mann zu geraten, der edle Absichten hat und nicht zwölfgleisig fährt. Darum habe ich mich um eine Lösung bemüht, habe rumgehirnt und es sogar mit meiner Freundin besprochen, in der Absicht, Ihnen einen schlauen Rat geben zu können. Aber es ist wirklich eine harte Nuss, das mit dem Küssen.

Leider schreiben Sie nicht, ob Sie auch schon anderes mit ihm ausprobiert haben und es wirklich nur am Küssen liegt. Obwohl – «nur» kann man hier eben leider nicht sagen, gopf. Ich bin der Meinung, dass Menschen ein Entwicklungspotenzial haben. Alle Menschen. Sogar Männer. Und darum kann man zum Beispiel an «gutem» Sex arbeiten. Man kann darüber reden oder aktiv die Führung in besagte Richtung übernehmen und nonverbal zeigen, was einem besonders gut gefällt. Aber beim Küssen ist es verdammi nomoll wahnsinnig schwierig.

Und ich habe wirklich alles Erdenkliche geistig durchgespielt. Sobald man ausspricht, dass einem das Küssen nicht gefällt, ist es gelaufen. Es ist so unglaublich intim, viel intimer noch als Geschlechtsverkehr. Und darum umso heikler und sensibler. Darüber offen reden fällt drum leider weg (und dabei bin ich doch nun wirklich IMMER fürs offene Gespräch). Aber hier nicht. Zu riskant, zu verletzend. Fast schon, als würde man den persönlichen Körperduft seines Partners infrage stellen.

Einen Mann, den man lieb gewonnen hat, deswegen abschiessen ist aber auch keine Lösung! Schliesslich müsste man dann auch noch einen Vorwand finden, weil man ja das wirkliche Problem nicht benennen kann, um den anderen nicht total zu verletzen.

Darum gibt es eigentlich nur einen Ausweg; Spiegelneuronen! Das sind Nervenzellen, die darauf programmiert sind, andere zu spiegeln, nachzuahmen. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Gähnen, das ja ansteckend wirkt, wenn man es sieht oder hört. Wir Menschen (und Primaten übrigens auch) verfügen über diese Nervenzellen, um im Umgang mit anderen empathisch und sozial zu funktionieren. Dieses System könnten Sie sich zunutze machen. Es wird vermutlich etwas Zeit dauern und es ist auch keine sehr romantische Idee, aber mir fällt nun mal keine bessere ein.

Küssen Sie ihn in die von Ihnen gewünschte Richtung! Fangen Sie langsam an und fallen Sie nicht mit der Tür ins Haus. Spiegelneuronen sind empfindliche Huschelis und machen nur dann mit, wenn sie sich wohl und geborgen fühlen. Das bedeutet konkret, dass Sie immer zu Beginn auf die bereits bekannte Art und Weise küssen, um ihn dort abzuholen, wo er gerade ist. Wenn das gelungen ist, nehmen Sie in langsam aber sicher mit und zeigen ihm Ihre Art, zu küssen.

Das werden Sie über eine Weile tun müssen, aber es könnte wirklich funktionieren. Und mit etwas Geduld vielleicht so, dass er davon gar nichts mitbekommt. Stellen Sie es sich als Tanzen vor. Ob ein Tanz gut gelingt, ist immer eine Frage des Zusammenspiels der beiden Tänzer. Wenn es Ihnen nicht gefällt, wie er führt, dann führen Sie halt selbst! (Aber möglichst so, dass er davon nichts mitbekommt.)

Sie haben nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Die Alternative ist, unglücklich weiter zu küssen oder ihn unter einem nicht zutreffenden Grund loszuwerden. Beides auch keine Lösungen, wie ich finde. Ihnen traue ich es zu, dass Sie eine Veränderung in Gang setzen können. Trauen Sie es sich also bitte auch zu. Und Ihrem Partner auch!

Ganz herzlich, Ihre Kafi.

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