Täusche ich mich, oder sind Menschen mit viel Geld um einiges geiziger als solche, die in "normalen" Verhältnissen Leben? Ich beobachte das in meinem persönlichen Umfeld und frage mich, ob man von meinen Erfahrungen auf die Gesellschaft schliessen kann. Sebastian, 31
Lieber Sebastian
Danke für Ihre interessante Frage, die ich leider mit «Ich befürchte, dass Sie recht haben» beantworten muss. Nicht umsonst sagt man, dass man von den Reichen das Sparen lernt ...
Auch ich habe diese bittere Erfahrung machen müssen. Ich war Anfang 20, als ich mit einem engen Freund zusammen in einer WG wohnte. Wir hatten beide kaum Geld, gaben das wenige, was wir hatten, aber grosszügig und unüberlegt aus. Das lief so lange gut, bis er von seiner Tante die lächerliche Summe von 10'000 Franken erbte und danach zu einem geizigen Arschloch mutierte. (Lächerlich darum, weil ich die Freundschaft zwischen uns bis dahin viel höher geschätzt hätte.) Vom Tage an, als er die Kohle auf seinem Konto hatte, war er von der Gier und vom Geiz getrieben und hatte sich zum obersten Ziel gesetzt, keinen Rappen davon auszugeben. Das führte nicht nur dazu, dass er kein Geld mehr ausgab. Er liess sich auch ohne mit der Wimper zu zucken von mir finanzieren. Die WG, die mit unseren kleinen Löhnen gut tragbar war, wurde ihm alsbald zu teuer und so liess er mich mit der Wohnung alleine stehen, um in ein noch günstigeres Appartement zu ziehen.
Diese Geschichte hat mich so einiges gelehrt. Die grösste Erkenntnis ist aber die, dass es für Menschen ungesund sein kann, allzu viel Geld zu besitzen. Während nämlich jemand, der in – wie Sie es so schön formulieren – «normalen Verhältnissen» lebt, gar nicht erst auf die Idee kommt, sich ein Finanzimperium aufzubauen, kann ein anderer, der die Möglichkeit hat, Geld anzuhäufen, zuweilen ganz niedere Charakterzüge entwickeln.
Gier ist eines der grössten Probleme unserer Gesellschaft und unserer Zeit. Alles, was über das gesunde Minimum herausgeht, scheint die Unersättlichkeit zu nähren. Das zeigt sich bei einem überbezahlten Präsidenten der Nationalbank, der sich im Insiderhandel verwickelt ebenso, wie bei einem di Lorenzo, dem die doppelte Staatsbürgschaft die Gier zur doppelten Stimmabgabe weckte.
Genug ist nie genug. Und Habsucht hat viele Gesichter.
Herzlichen Gruss, Ihre Kafi.